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Volltext: Monatszeitschrift XXI (1918 / Heft 3 und 4)

den stärksten Ausdruckskünstlern des römischen Barock auf. Es folgt die reiche wunder- 
volle Zeit des Tizianschen Einflusses, den Poussin in selbständig französischer Weise 
verarbeitet, und die wohl seine glücklichsten, harmonischesten Schöpfungen enthält. 
Allmählich mischen sich antikisierende Ideen hinein. Die erste Epoche seines Klassizismus 
ist noch eine völlige Umschmelzung des alten Ideals in französichen Sinn. Der wirkliche 
Rationalismus, das mathematische Errechnen der Bildeinheit mit den statuarischen, 
klassizistisch kühlen Figuren beginnt erst Ende der 1630er Jahre mit der ersten Folge der 
„Sieben Sakramente". Hier schreibt auch die Überlieferung (Sandrarts und andere) 
Poussin die Verwendung beweglicher, mit nassem Zeuge bekleideter Wachsfiguren zu, die 
er auf der Bühne hin und her rückte und beleuchtete, um die sicherste Gruppierung heraus- 
zubekommen: ein Beispiel, das in der Folgezeit wahrhaft verheerend wirkte. Sein Spät- 
stil bezeichnet eine neue Nachfolge Ralfaels und seines Bühnenstils; nicht minder aber die 
herrlichen ldeallandschaften und die zusammenfassende Synthese seiner letzten Jahre, 
denen solche Meisterwerke angehören wie die „Vier Jahreszeiten" und „Apollo und 
Daphne". 
In die Exkurse hat Grautoff das Material verwiesen, das ihm die Darstellung unnötig 
beschwert hätte, zum Beispiel über Poussins Lehrer Varin, Marino, das Problem der 
Antike im XVII. Jahrhundert, Poussins Kunsttheorie, Maltechnik usw. Immerhin ist er 
hier nicht ganz konsequent; manches steht im Text, manches in den Anmerkungen, was 
eigentlich den Exkursen zukäme. 
Diese technischen Einwände können aber nicht standhalten vor dem Gesamteindruck 
des Werkes, dessen großer Stil und klare Präzisierung der Fragen dem Gegenstande gerecht 
werden. Wir haben ein Buch vor uns, das endlich den ganzen Reichtum des Poussinschen 
Geistes vor uns ausbreitet und die mannigfachen Fäden verfolgt und entwirrt, die ihn mit 
seiner Zeit und den Nachfolgenden verbinden; das in einer würdigen Sprache uns ein 
Bild des Künstlers übermitttelt, der einer der Größten des XVII. Jahrhunderts und einer der 
führenden Geister Frankreichs war, obwohl er sein Leben fast ganz in Rom zugebracht hat. 
Daß ein solches Buch von einem Deutschen so kurz vor dem Kriege geschrieben und 
von einem deutschen Verleger im dritten Jahre des Weltkrieges herausgebracht werden 
konnte, das soll uns ein günstiges Zeichen dafür sein, daß geistige Werte nach wie vor 
keine nationalen Schranken kennen. 
Papiernot sieht man dem dickleibigen Buche nicht an. Der Verleger Georg Müller hat 
es an Sorgfalt nicht fehlen lassen; leise Wünsche bezüglich einer opulenteren Ausführung 
des Bildermaterials müssen wohl vor der Tatsache ihrer Fülle und Reichhaltigkeit zurück- 
treten. Dr. Paul F. Schmidt 
ILIPPO BALDINUCCIS VITA DES GIO. LORENZO BERNINIF 
Den problemreichen, anregenden und schönen Vorlesungen Alois Riegls über' „Die 
Entstehung der Barockkunst in Rom" (Wien 1908, Verlag von A. Sehroll) ließen die beiden 
Herausgeber auch das Kolleg Riegls über Bernini folgen. Der große Gelehrte ging von der 
bekannten geschichtlichen Hauptquelle, der Vita des Baldinucci, aus, welche er auszugs- 
weise seinen Hörern vorlas, übersetzte und an der Hand von Reproduktionen der Werke des 
Bernini auf das anschaulichste interpretierte. Dabei ergab sich beinahe Schritt für Schritt 
die Notwendigkeit, sich mit dem großen und breit angelegten Werke Fraschettis über den 
Barockmeister auseinanderzusetzen. Was Riegl in diesen Vorlesungen niedergelegt hat, 
interessiert den Leser außerordentlich, nicht nur, weil es von ihm kommt, sondern auch 
aus dem Grunde, weil wohl keiner vor ihm das Problem der frühen Barockskulptur so tief 
und originell gesehen und gefaßt hat. Wir finden auch wertvolle Hinweise und Lösungs- 
möglichkeiten dieses so überaus schwierigen Problems; so sind die Ausführungen Riegls 
über Berninis Vater Pietro und dessen Kunst außerordentlich wichtig. Außer den von Riegl 
"' Mit Übersetzung und Kommentar von Alois Riegl. Aus seinem Nachlass: herausgegeben von Anur 
Burda und Oskar Pollak. Mit 30 Tafeln. Wien, Verlag von Anton Sehroll ä Co.
	        
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