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GIACOMO QUARENGHI UND DAS MODENA-
PALAIS IN DER HERRENGASSE ZU WIEN Sie
VON MORIZ DREGER-INNSBRUCK 5b
AS Modena-Palais, das heutige Ministerratspräsidium,
in der Herrengasse zu Wien liegt zwar in einer
der belebtesten Straßen der Stadt und wird gewiß
auch von vielen Personen aufgesucht, gleichwohl
darf man sagen, daß es - in künstlerischer Hin-
sicht wenigstens - zu den mindest bekannten
Gebäuden Wiens zählt. In den Handbüchern über
Wien findet man gewöhnlich die Nachricht, daß
die Außenseite im Renaissancestil errichtet sei, und
daß sich im Innern bemerkenswerte Louis-XVI-
Räume befänden. Leider ist aber beides unrichtig.
Das Bauwerk, wie es heute besteht, ist sowohl nach innen als nach außen-
hin ausgesprochenes Empire; ja es gehört zum Entschiedensten dieser
Richtung, was man in Wien überhaupt sehen kann.
Über den Meister, der dem Baue die heutige Gestalt gegeben hat,
finden wir in den Handbüchern überhaupt keine Nachricht. Wir müssen
uns so vorsichtig ausdrücken „der dem Baue die heutige Gestalt gegeben
hat"; denn tatsächlich handelt es sich um einen alten Barockpalast, der zu
Anfang des XIX. Jahrhunderts nur umgebaut, dabei künstlerisch aber ganz
umgestaltet worden ist.
Nach Schimmers I-Iäuserchronilä gehörten die Häuser, auf deren Grund
der heutige Palast steht, um das Jahr 1690 einem gewissen Hans Halber-
stock; bald darauf waren sie aber im Besitze des Fürsten von Dietrichstein,
dessen Familie sie bis zum Jahre 1810 innehatte. Wenn es bei Schimmer
jedoch weiter heißt: „Hierauf in die dermalige (das ist die heutige) Gestalt
umgeändert, gelangten sie an die Erzherzogin Beatrix, Herzogin von
Modena", so liegt hier oifenbar ein Irrtum vor. Wie wir sehen werden, hat
der Palast die heutige Gestalt eben erst unter der Erzherzogin Beatrix
selbst erhalten; Vorher stand hier ein barockes Gebäude, wie wir aus der
nebenbei abgebildeten Darstellung aus Hubers Ansicht der Inneren Stadt
Wien (vom Jahre 1785) deutlich erkennen (siehe Abb. Q3" Die Baugeschichte
dieses Barockpalastes konnten wir bisher allerdings nicht genügend klären;
sie ist für unsere Frage aber auch nicht von besonderer Wichtigkeit.
Wir wollen jedoch gleich auf eine Hauptsache hinweisen, nämlich
daß die Hauptmauern des barocken Gebäudes, wie man an der Anlage
der Höfe und der ganzen Front deutlich ersieht, noch in dem später um-
gestalteten Bau erhalten sind. Und wie ein Vergleich mit dem heutigen
' K. A. Schimmer, „Ausführliche Häuserchronik der innern Stadt Wien", Wien, 184g, Seite x7 f.
'" Josef Daniel von Huber, „Die kays. königl. Haupt- und Residenz Stadt Wien Wie sie im Jahr x785
unter der Regierung Josephs des zweyten atehet".
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