Zeitgeschmack verschmolzene Fertigkeit eine allgemeine geworden war,
konnten unzählige Zwischenstufen die Voraussetzungen dazu gewähren
(vgl. die Cherubsköpfe und Putten von Mazza, Torreti, Giuliani usw.).
Wie dem nun auch sein mag, Brustolons Stil verleugnet, sobald seine
Werke die kunstgewerblichen Elemente abstreifen und als Arbeiten der
großen Skulptur gewertet werden können, keineswegs offenkundige Ab-
hängigkeit von Berninis Werken, deren im breitesten Strom ausilutende
Beeinflussungsideen auch ihn erfaßten. Der Nachweis wird nicht schwer
fallen; es genügt, die nahe Verwandtschaft (besonders in der Gewand-
behandlung) aufzuzeigen, die die Engelgestalt in Santo Stefano mit Figuren
Berninis und seiner Nachfolger verbindetf wer aber diese Beziehungen
übertrug und verdolmetschte, ob Parodi oder eine andere Mittelsperson, dies
festzustellen, muß der zukünftigen Forschung überlassen werden. Die römi-
schen (Berninesken) Anregungen werden Brustolon soweit berührt haben,
als ihnen die Veredlung seines Stiles zu verdanken ist; aber schon das Fest-
halten an dem der Alpenkunst gewohnten Materiale, das der Künstler neben
Gips und Ton allein verwandte, ist Zeugnis für die fürderhin bestehende
Geltung des ehemaligen Hausbetriebes der Familie.
Der Urstoff nämlich, dem die Arbeiten Brustolons ihr Leben verdanken,
ist eine nur in Grenzgebieten entwicklungsfähige Kunst, wo die Gegensätze
der aneinanderstoßenden Länder unmittelbar zusammenprallen. Im Trentino,
im Friaul, in den tiefeingeschnittenen Tälern, die von beiden Seiten der
Alpenketten gegen die Wasserscheiden emporsteigen, lebt eine eigentümliche,
halb erstarrte künstlerische Tätigkeit, die die Einrichtungsgegenstände ihrer
schlichten Gotteshäuser mit übertriebenem Aufwande zu schmücken und in
grelle Farben zu kleiden Gefallen iindetf" Dem Charakter und den Sitten
dieser Bewohner, dem herben Typus des patriarchalisch-verschlossenen und
mißtrauischen Alpenbauers (montagnaro) entsprechend, werden altererbte
Formen immer aufs neue wiederholt und vervielfältigt. Aus diesen vom
Norden und Süden kümmerlich einsickernden Einflüssen resultiert eine
Formenwelt, die das Merkzeichen einer Bastardkunst, der unreinen Bluts-
mischung offensichtlich zur Schau trägt. Mit den Regeln der Ponderation
der einzelnen Glieder, mit den Gesetzen der Tektonik, den Vorschriften der
Proportionen, der Schmuckverteilung und der Farbengebung nicht selten ein
ähnlich willkürliches Spiel treibend, wie die Völkerwanderungskunst sich
einst zu den antiken Vorbildern gestellt hatte, entbehren ihre so bedingten
Erzeugnisse doch nicht eines großen Reizes. Das Individuelle der Volkskunst,
die für verschiedene Einzelheiten aus sich selbst, ohne fremde Beihilfe, zu
schöpfen angewiesen ist, ihr Geschmack und der primitive Farbensinn er-
zielen oft die eigentümlichsten, keineswegs gering zu schätzenden Erfolge.
Aus diesen Voraussetzungen erwuchs die Zwitterstellung Brustolons,
die er als kunstgewerblicher Arbeiter und als Schöpfer großer Statuen und
"i Vgl. etwa die (von der Engelsburgbrilcke stammenden) Engelüguren in San Andrea della Franz.
i" Vgl. Au, „Kunstgeschichte von Tirol", Innsbruck, 190g, Seite 906.