AUS DEM KUNSTLEBEN
SECESSION:
Deutsche Druckgraphik
Sich für die Belange von Wissenschaft
und Kunst tatkräftig einzusetzen, zählt
zu den verpflichtenden Gewohnheiten
großer deutscher Firmen und Industrie-
unternehmen. Auf dem Gebiet der
bildenden Kunst sind es neben Stiftungen
für Museen, respektablen Preisen, Auf-
trägen und renommierten Wettbewer-
ben aller Art vor allem zahlreiche
Ankäufe. die - begünstigt durch eine
vom Gesetzgeber in kluger Voraus-
sicht ermöglichte steuerliche Absetzbar-
keit - den Schwerpunkt kunstfördern-
der Maßnahmen von privater Seite
darstellen.
Zu welch fruchtbaren Ergebnissen eine
derartige Kulturpalitik im einzelnen
führt. bewies eine interessante. kleine
Ausstellung in der Wiener Secession.
die auch als Beispiel dafür angeführt
werden darf. daß sich private Kunst-
förderung auf geschickte und durchaus
sympathische Art mit geschäftlicher
Reklame verbinden kann. (Ähnliches in
Österreich zu tun, steht übrigens jeder-
mann frei!)
Der Titel der Wanderausstellung lautete
..Deutsche Graphik noch 1945". Als
Veranstalter fungierte die deutsche
Lufthansa. eine der bekanntesten Flug-
gesellschaften der Welt, in deren Besitz
sich sämtliche 58 Exponate dieser als
knapper Querschnitt durch die deutsche
Graphik der Jahre 1955 bis etwa 1962
fungierenden Schau befinden. Da es
sich bei den gezeigten Blättern in der
Regel um Arbeiten handelte, deren
Entstehungsdatum schon einige Jahre
zurückliegt. blieben neuere Tendenzen
und Strömungen deutscher Graphik
leider unberücksichtigt. Erfreuliches
Durchschnittsniveau unter deutlichem
Herausstreichen solider Modernität war
somit der Grundtenor dieser Schau.
Zum Herausragendsten zählten eine
Farblithographie des 1955 verstorbenen
Willi Baumeister. besonders aufschluß-
reiche und sehr schön gedruckte Litho-
graphien von Max Ernst, feinnervige.
typische Radierungen von Horst Antes.
zwei sehr schöne Abstraktionen Ernst
Wilhelm Nays sowie Blätter von Trökes.
Trier, Meistermann und Ruprecht Gei-
ger.
AKADEMIE FÜR ANGEWANDTE
KUNST:
Eduard Bäumer
Im neuen Gebäude der Wiener Aka-
demie für angewandte Kunst zeigte der
seit 1933 in Salzburg lebende Maler
Eduard Bäumer eine Kollektive neuerer
Arbeiten. die durch einige zum Teil
durch den Kubismus und die Lehren
des Bauhauses inspirierten Werke so-
wie mehrere akademisch-natu ralistische
Arbeiten aus der Frühzeit des Künstlers
ergänzt wurde. Eduard Bäumer ist mit
dem Haus am Stubenring eng ver-
bunden. Von 1948 bis zu seiner Pen-
sionierung im Jahre 1963 war er dort
als Professor tätig. Zwischen seiner
ersten Kollektivschau 1942 in der
Galerie Würthle und seiner jetzigen
an der Akademie für angewandte
Kunst liegen 24 Jahre. was als Indiz
für Bäumers Zurückgezogenheit vom
heutigen Ausstellungsrummel gelten
mag. dem der 1892 in Castellaun im
Hunsrück geborene und in Frankfurt
ausgebildete Künstler vermutlich fremd
50
und ablehnend gegenübersteht. Die
schon in frühen Jahren erfolgte Be-
einflussung durch den Expressionismus
der Franzosen und Deutschen spielt
auch im heutigen Spätwerk Büumers
(es handelt sich dabei zumeist um
Variationen über die kalabrische Lond-
schatt) eine nicht unwesentliche Rolle.
Obwohl sich Bäumers Palette durch
einen kleinkalibrigeren Rhythmus von
der kräftigeren und vehementeren
Malerei der französischen Fauves und
der deutschen Brücke-Leute deutlich
unterscheidet. bleibt in ihr ein expres-
sionistisches Element stets spürbar. Bäu-
mers Bilder können daher als verhal-
tener Expressionismus charakterisiert
werden - als eine helle Farben be-
vorzugende. subtile und stark rhyth-
mische Malerei. die zwar noch immer
temperamentvoll genug ist, aber keine
Eskapaden und Wildheiten mehr kennt.
Gebirgs- und Steinformationen. die mit
zu den Lieblingsthemen des Malers
gehören und Bäumers Sinn für feinste
Strukturen und Farbwerte hervor-
kehren. lassen in neueren Beispielen
gelegentlich auch Anklänge an die
Landschaftsmalerei von Werner Gilles
erkennen, zu dessen bevorzugten Mo-
tiven ebenfalls Mittelmeerlandschaften
zählten.
NIEDERÖSTERREICHISCHES
LANDESMUSEUM:
Weihnachtliche Hinterglasbilder
Waren es vorigen Sommer Votivtafeln
aus niederöslerreichischen Gnaden-
stätten. die vom Niederösterreichischen
Landesmuseum in Form einer Gostaus-
stellung in der Galerie Autodidakt
gezeigt wurden. so galt im Dezember
1966 und Jänner dieses Jahres der
"Darstellung des Weihnachtsfestkreises
im Hinterglasbild" eine ebenso wichtige
wie erfolgreiche Austellung im eigenen
Haus.
Die von Kustos Dr. Hermann Steininger
unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher
Assistenz Friedrich Knaipps (in Fragen
der Bestimmung der jeweiligen Er-
zeugungsstötten und Dotierung der
Bilder) organisierte. siebenundvierzig
Bilder umfassende Exposition wurde
aus einem Material von 160 Hinter-
glasarbeiten ausgewählt. Neben eige-
nen musealen Beständen mußte dabei
auch auf Leihgaben privater Sammler
zurückgegriffen werden.
Gemäß der Absicht. .. ine vollständige
Aufarbeitung der niederösterreichi-
schen Bstände ihrem topologischen
Anteil gemäß zu bieten". konfrontierte
die informative Ausstellung mit allen
wichtigen Typen und Varianten von
Hinterglasbildern dieses Themenkreises.
Der zeitliche Bogen spannte sich dabei
vom Ende des 1B. Jahrhunderts bis
etwa zum dritten Viertel des neun-
zehnten. Dabei ist festzuhalten, daß
sämtliche Bilder bis auf eines. das von
einem oberbayrischen Nlalerhandwer-
ker hergestellt wurde. aus hüttenge-
werblicher Produktion stammen, die
durch Händler und Hausierer haupt-
sächlich an Bauern verkauft werden
konnte. Von den 46 hüttengewerblichen
Arbeiten stammen nicht weniger als
23 aus Sandl und Umgebung und vier-
zehn aus Buchers. was die besondere
Bedeutung dieser Ortschatten für die
Fertigung von Hinterglasmalereien ein-
mal mehr unterstreicht.
Die Herbheit und Intensität der ro-
busten Darstellungen, die Kraft und
der satte Klang der Farben. kurzum
all das. was neben dem leicht faßbaren
Inhalt das Spezifische des Hinterglas-
bildes ausmacht. wurde dem Besucher
dieser schönen und besinnlichen Aus-
stellung in verschwenderischer Fülle
und Eindringlichkeit vor Augen ge-
führt (Abb. 1).
GALERIE TAOZ
Slavko Tihec und Rudolf Kotnik
Eine der interessantesten Ausstellungen,
die in Wiener Galerien zur Jahres-
wende veranstaltet wurden, war in
der Galerie Tao im Palais Palffy zu
sehen. Sie vereinte neuere Arbeiten
der in Wien keineswegs unbekannten
jugoslawischen Künstler Slavko Tihec
und Rudolf Kotnik.
Die verschiedenformatigen. material-
betonten. reliefartigen normierten Lein-
wände" von Kotnik mit ihren an
Zwischentönen reichen Vertiefungen,
Verstrebungen und Verspannungen
können als poesievolle. vegetative Sym-
bole des Vergänglichen, aber auch des
neu Entstehenden, Kommenden ange-
sehen werden. Sie sind typische Bei-
spiele für jene Tendenz in der bildenden
Kunst der letzten Jahre. die den auto-
nomen Aussagewert des Materials 7
in unserem Fall Gips- und Farbstruk-
turen, verspannte Schnüre, Drahtge-
füge und Metallteile - besonders
unterstreicht.
Demgegenüber zeigen die Skulpturen
von Tihec (er vertrat sein Land auch
auf der voriährigen Biennale von
Venedig) eine wesentlich deutlichere
Tendenz einer präzisierten Bildidee.
Kontraste im sinnvoll verwendeten
Material wie in der Farmgebung
charakterisieren diese ebenfalls symbol-
haften. kleinen Skulpturen aus Nickel
und Holz. deren Materialeffekte und
gegensätzliche Volumina den Betrachter
zu einer weit Über das Formale hinaus-
gehenden. doch wesentlich von ihm
bestimmten geistigen Auseinanderset-
zung anregen (Abb. 2. 3).
GALERIE WÜRTHLE:
Italienische Druckgraphik
Unter ähnlichen Gesichtspunkten in-
formativ und sehenswert wie die Aus-
stellung deutscher Graphik in der
Secession war auch die Gruppenaus-
stellung italienischer Druckgraphik der
Gegenwart. die von der Galerie Würthle
gezeigt wurde. Ein wirklich repräsen-
tativer Überblick konnte jedoch auch
hier nicht erreicht werden. obwohl die
gewiß verdienstvolle Exposition mit
Blättern einiger der wichtigsten und
bekanntesten italienischen Künstler von
heute bekannt machte: mit 7 technisch
zumeist einwandfreien - Drucken von
Burri. Fontana. Perelli. Vedova, Do-
razio. Consagra, Pomodoro und an-
deren.
GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN:
Lichtbilder von gestern und heute
Eine der aufschlußreichsten kleineren
Photoausstellungen, die man während
der letzten Jahre in Wien zu sehen
bekam. veranstaltete die Galerie nächst
St. Stephan zum Jahresauftakt.
Verbreitung und Bedeutung. die der
Photographie heute zukommen. er-
fordern geradezu Ausstellungen dieser
Art. weil sie dem Fachmonr
aufgeschlossenen Amateur
historische Leistungen und
vor Augen führen. sondern
seitige Anregungen zu geben
Lag auch das Schwergewicht
wenig zu unaufwendig darge
Exposition bei ihrem histari:
bei den um 1920 entstandene
von Moholy-Nagy. Man Rat,
sehr alten Aufnahmen des
Seidenstücker. so konfrontier
seits die ..Figurenphotograi
jungen. 1937 geborenen Floi
Neusüss mit Aspekten neue
bildnerischen Gestaltens.
Neusüss. auf dessen Anreg
die vom Museum des 20. Jal
für 1968 geplante Ausstellung
rische Photographie" zustand
wird. leitet seit 1966 die
Experimentalphotagraphie
Werkkunstschule in Kassel.
lebensgroßen Lichtbilder (n
.,Figurenphotogrammen" ze
süss auch ,.Faltphotogramm
bilder. Montagen und Rayog
dienen ihm Mannequins als
Neusüss komponiert gleichsai
menschlichen Körper. mit
Bewegungsphasen, Gliedmc
Licht, dem Hell und Dunkel.
tiv-. Negativ- und räntgei
Effekten. Expressive Morni
rhythmische Impressionen we
bei von Bild zu Bild. DCIZL
gleich zeigen die „TBllEFlJllt
denzen ziemlich präzisen (
mus, wie man ihn von ält
neueren Beispielen in der
aber auch den "Rauchbilc
Deutschen Otto Piene her ki
Von Man Ray. dem 1890
delphia geborenen Mitbegri
Dada-Bewegung in den U!
neben abstrakten. fein ausge
autonom gestalteten .,Rayog
(diese Bilder wurden nach
benannt) mehrere ausdruckssl
träts von Marcel Ducham
Joyce und Pablo Picasso
Ungar Moholy-Nagy (Jahrgr
von 1919 bis 1920 in Wien lt
Berufung ans Bauhaus in We
er vier Jahre später auch sein
weisendes Buch über „Maler
graphie. Film" herausbrachte
in seinen Bildern ungewöhnlic
Vorstellungen und Perspektii
Moholy-Nagy photographiei
damals bahnbrechend und VI
von ungefähr Parallelen zu r
falls auf den reinen Aussagew
Form und des Schwarzweiß be
Lichtgraphiken von Ray auf.
Als wirklichkeitsnaher Beoba
Menschen erweist sich schlie
1882 geborene Westfale Dir
nieur Seidenstücker. Seine kli
tigen Vergrößerungen (oft I
karten) zeigen entweder l
Personengruppen. Angehörige
ter sozialer Schichten (z. B
oder verschiedene Leute bei
derselben Tätigkeit; so z.
Überspringen einer Pfütze,
trachter im Zoo usw. Daß Seid
zu einer Zeit. wo die Phot
fast ausschließlich dem Kontert
mit scharfem Blick für die Wi
den Menschen aufs Korn n(
als nichts verschönernder B
Erscheinung trat. verleiht seine
Wert und Bedeutung (Abb. 5: