liegt. Und dieses leitenden Gedankens war sich der Lenker all der Kräfte wohl
bewußt, deren er zur Ausführung seines Werkes doch bedurfte: in diesem
Sinne kehren wir zu der eingangs besprochenen Gruppe (Fig. g) zurück, wo
das einzige gegen den Willen des Phidias sich aufbäumende Wesen in die
einzig und allein von ihm gewollte Richtung zurückgerissen wird, durch: „den
Zügel der Kunst". „Lo fren delParte" sagt Dante (II, 33, x41) und gibt uns
damit in Worten klar den, soviel ich weiß, einzig hier in aller hohen Kunst
mit Phidias bedeutsamem Bilde vergleichbaren Einblick in die Werkstätte so
erhabenen Schaffens; das Papier, das er dem zweiten Teil der südländisch
klar eingeteilten hundert Gesänge seiner Commedia zugemessen habe, sei
zu Ende und, wiewohl er noch manches zu sagen wüßte:
„non mi lascia piu gir' lo fren dell'arte."
So ist jenes Bild dreifach zum mindesten bedeutsam: als rein formal-
künstlerisch äußerst wirksamer Kontrast, als inhaltlich neues Motiv, und als
Hinweis auf den leitenden Gedanken.
Nur mit den Werken der größten Dichter und Tondichter können die
wahlverwandten Schöpfungen des Phidias gemessen werden. Auf dem Gebiete
der bildenden Künste steht er allein, wie schon Michaelis ahnte, der von ihm
schriebr" „Gilt es einmal Phidias vollständig zu schildern, so wird . . . die
geniale Kraft des Mannes, allerdings wohl auch seine einsame Größe . . .
anschaulicher" werden. Seine Werke erscheinen fast „incommensurabeP,
wie Goethe seinen Faust nannte," wie den Freunden Beethovens dessen
„Neunte"f'"" den Verehrem Bachs dessen „Chrornatischemf als unvergleich-
lich galten; und von dem alsWeltwunder schon im Altertum gepriesenen Zeus
des Phidias in Olympia bemerkte schon Pausaniasfyi" daß man ihn nicht wohl
ermessen könne. Hat man gerade seinen Cellafries näher betrachtet, so fühlt
man die Richtigkeit der von Michaelis geäußerten Meinung; dieser best-
erhaltene Teil aller Parthenonskulpturen steht in aller Kunst einzig da; er
hat in der Genialität und Großzügigkeit der Gesamtanlage keinen Vorläufer,
keinen Nachfolger. Unmöglich können die anderen, weniger gut erhaltenen
Teile der Parthenonskulpturen wesentlich von ihm verschieden sein. Sie allein
können mit ihm verglichen werden.
Zunächst bietet sich seiner ganzen Anlage nach der äußere dorische Fries
zum Vergleiche dar; er ist uns freilich an seiner Nordseite nur lückenhaft
erhalten. Aber das hinderte schon Michaelis nicht, das „geistige Band" klar
zu erkennenj-H- welches diese 92 Metopen zu einer untrennbaren Einheit in-
haltlich zusammenschloß; dazu kommt formal noch die unendliche Perlen-
schnur, an die wir schon eingangs erinnert haben. Auch der große, rein
architektonische Rahmen der Triglyphen und des alles verbindenden Kranz-
ä "Der Panhenon", Seite XI.
H Eckermann gegenüber am 3. l. 3c; vgl. auch 13. II. 31.
ä" Ries an Beethoven am g. Juni 25; siehe Nohl, Briefe Beethovens (1865). Seite 29g, Anmerkung.
1' Ferkel, Über j. S. Bach's Leben (1802), Seite 55 f.
1-1- V, n, g.
i-H- „Der Parthenon", Seite 35H. und Seite x26.