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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1866 / 12)

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als manche Schüler anderer Länder in sechs oder acht Jahren. Durch eine solche Ein- 
richtung gewinnt die Schule nur an Achtung und Würde, sie ist anerkannt als die auf- 
suchenswertbe Quelle von wohlthlitigen Vorzügen, während unter anderen Verhältnissen 
gar leicht Ekel am Lernen, an der Arbeit entsteht. Auch bleibt genügend Zeit für kör- 
perliche Bewegung, Die Schulstunden sind nicht nach bnreaukratischer Uniformitiit regulirt, 
so dass, wo möglich, in einem ganzen Reiche die Kinder zu demselben Glockenschlag in 
die Schule eintreten und ebenso wieder verlassen, - vielmehr legt man die Unter- 
richtsstunden auf diejenige Tageszeit, wo sie mit der Arbeit am wenig- 
sten collidiren. Namentlich scheint die Benutzung der Abendstunden für den Elementar- 
unterricht in Belgien immer mehr in Aufnahme zu kommen. Sobald diese Curse errichtet 
waren, sah man sie insbesondere von älteren Arbeitern und Meistern besucht werden, 
welche das tiefe Bediirfniss fühlten, die Versäumnisse ihrer Jugend nachzuholen. Darum 
war aber auch die Schnelligkeit überraschend, womit sie im Laufe eines einzigen Winters 
in zwei Ahendstunden täglich sich die nothwendigen Kenntnisse in Schreiben, Lesen und 
Rechnen aneigueten. 
Auf solche Erfahrungen gestützt empfiehlt daher Herr v. Steinheis unbedingt und 
mit allem Nachdruckdie Verbindung von Arheitsschulen mit den Volksschulen. 
Wo gesetzlich Schulzwang besteht, rlith er zur Dispenssüon derjenigen Schüler von den 
gewöhnlichen Schulen, die, den grösseren Theil des Tages in einer Werkstätte beschäftigt, 
nach vollbrachtem nicht zu langem Tagewerke den etwa zweistündigen Unterricht in einer 
Fabriksschule geniessen können. Ja, der erfahrene wiirternbergische Staatsmann geht noch 
weiter und befürwortet überhaupt die Verlegung der Volksschulen in die Abendzeit und 
ihre Beschränkung auf zwei Stunden, sowie die alsbaldige Entlassung der Kinder aus der 
Volksschule, sobald sie ein gewisses Maas von Kenntnissen sich angeeignet haben, überall 
dort, wo es die Mehrheit der Bevölkerung wünscht. Nur diese Schulen sollten dann obligat, 
die Lehrer aber angehalten sein, gegen billige Entschädigung in der übrigen Zeit einen 
weiter fortschreitenden Classenunterricht an freiwillige Schüler zu geben. Die besten Stunden 
des Tags wären dann der Arbeit vorbehalten. „Wohl wird, wer diese Verhältnisse sich 
niemals genauer angesehen hat, solche ,arme Kinder" bedauern, welche „schon so jung" 
zur Arbeit verwendet werden sollen, nicht bedenkenrl, dass der, der sich in späteren Jahren 
das Arbeiten noch angewöhnen muss, das doch den Meisten hescheert ist, noch viel iibler 
daran ist. Wir können aber auch aus langjähriger Erfahrung, zum Theil an Kindern, deren 
Plage uns näher gegangen wäre, als die eigene, mit voller Beruhigung versichern, dass 
diese Kleinen viel lieber sechs Stunden in der Werkstätte, selbst unter Staub und Buss, 
als nur vier auf der Schulbank zubringen, und auch in ersterer, was die körperliche Ent- 
wicklung betrißt, die doch im zarten Alter die Hauptsache ist, weit besser gedeihen, als 
auf der letzteren." Die Lehrer an der Volksschule werden von dem Gemeinderath erwählt, 
müssen jedoch zwei Jahre in einer Lehrerschule vorbereitet sein. Bei ihrer Wohnung er- 
halten sie rogelmässig einen Garten, um durch Ohstzucht, Bienenzncbt u. s. w. etwas zu 
verdienen und sich um die Bevölkerung verdient zu machen. Der Bezirksinspector macht 
jährlich zweimal, der Provinzialinspector einmal Rundreisen; in jedem Vierteljahr versammelt 
der Bezirksinspector die Lehrer um sich, ebenso der Minister des Innern jährlich einmal 
die Provinzialinspectoren. Den Bezirksversammluugen wohnen Bischöfe und Geistliche mit 
berathender Stimme bei. Soviel von der Volksschule. 
Für einen grossen Theil ider Bevölkerung ist mit der Volkoschule der theoretische 
Unterricht abgeschlossen. Gewöhnliche Arbeiter, wenig begabte oder auf raschen, wenn auch 
geringen Verdienst hindrängende Individuen haben während ihrer Lehrlingszeit in den Lehr- 
werkstätten oder auch schon neben der Arbeit in der Fabrik oder Werkstatt die Volks- 
schule besucht und treten dann ganz in das Erwerbsleben. Fiir diejenigen aber, die eine 
weitere Ausbildung erstreben, bieten sich zwei Wege dar. Der eine geht durch die Real- 
schulen in die Praxis, bez. nach der technischen Hochschule, der andere aber durch die 
Lehrwerkstiitte nebst gleichzeitigem Besuch einer Zeichen- und Gewerbeschule in die Praxis 
oder die technische Hochschule. Folgende Uebersicht wird dies deutlicher machen: 
I. II. 
LArbeilssßlulle und Lehrv gleichzeitig Velks- LArheitsschule und Lehr- gleichzeitig Volks- 
werkstiitte Ißhulß Werkstätte "Wie 
2 Bealscbule 2. Lehrwerkst-ätte oder gleichzeitig Zeichen- 
Comptoiy u. Gswerbslehuls 
3. Technische Hochschule 3. Technische Hochschule. 
Wir bemerken im Voraus, dass der unter II. verzeichnete Weg in Belgien bei weitem 
am häufigsten betreten wird. 
Die Realsch ulen, die man meist als Realabtheilungen neben den Lateinscbulen 
und Gymnasien einrichtete, haben sich in Belgien nicht recht eingebürgert. Ob mit Recht 
oder Unrecht, lassen wir dahingestellt, wird man den Realschulen vor, dass sie vorgefasste
	        
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