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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe III (1868 / 34)

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und Fabrikanten einen ersten Rang in der Gesellschaft einnehmen. Die 
gegenwärtige Bewegung, wie sie hingegen in Oesterreich herrscht, wird von jenen Mün- 
nern nicht getragen, welche auf eine solche Stellung Anspruch haben, und sie hat insbe- 
sondere die verderbliche Gewohnheit, Personen in den Kreis der obersten Berathung 
hineinzuziehen, welche selbst dabei betheiligt sind. 
Ebenso nötbig ist es, dass die löbl, Handelskammer einen andern Punkt sehr genau 
in's Auge fasst und dieser bezieht sich auf das Verhältniss Wien's zu den Kron- 
ländern. 
Die Industrie von Niederösterreich ist nicht in der Lage, wie die der Schweiz oder 
Wiirtemberg's oder Belgiens; sie ist nicht einzig und allein abhängig von der Organisa- 
tion der Schulen in Niederösterreich, Wien speciell recrutirt seine untersten Arbeiterlnäfte 
allerdings zum grossen Theile aus Eingebornen, aber ebensosehr auch aus eingewanderten 
Gesellen und Handwerkern aus den verschiedensten Kronländern. Viele Wiener Etablisse- 
ments haben ihre Fabriken in anderen Kronlindern als in Niederösterreich, und zur voll- 
ständigen Deckung ihrer Bedürfnisse gebrauchen wieder manche Industrielle und Fabriken 
Waareu, welche nicht in Niederösterreich, sondern in den Provinzen gemacht werden. 
Liisst der Zustand des Zeichenunterrichtes in Niederösterreich viel, so lässt der iu den 
Provinzen fast alles zu wünschen übrig. Die wenigen Zeicheuschulen, die existiren, die 
Schule für Weberei in Briinn und die Zeicheuschule in Steinschünau in Böhmen, sind so 
vereinzelte Anstalten, und diese wirken ihrer Natur nach auf ganz bestimmte und beengte 
Kreise der Industrie, dass, wenn in den Kronländern nicht ernsthafte Schritte geschehen, 
die Unternehmungen der Wiener Handelskammer und das Bestreben der nicderösterreichi- 
scheu Bevölkerung, sich auf diesem Gebiete zu helfen, bei der gegenwärtigen Sachlage 
nicht vollständig ausreichen werden. 
Würde ein solcher Zustand, wie er in Oesterreich besteht, in Frankreich herrschen, 
die Pariser Industrie und die Franzosen würden nicht so glänzend auftreten können, als 
dies der Fall ist; die Schulen in Miihlhausen, in Lyon u. s. f. ergänzen sozusagen das 
System des Unterrichtes, welches in Paris thsils von der Regierung, theils von der Com- 
mune in Wirksamkeit gesetzt wird. 
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Was nun die Regelung des Zeichenunterrichtes betrißt, so muss man dabei vorerst 
vollständig die Idee aufgeben, für die Zwecke der Gewerbe und Industrie auf dem Gebiete 
des Zeichenunterrichtes etwas durch Realschulen erreichen zu wollen. Wie die Real- 
schnlen gegenwärtig sind, sind sie nichts weiter als Vorbereitungsan- 
stalteu für höhere technische Institute; für Gewerbe leisten sie relativ 
wenig. In ihrer jetzigen Organisation ist dem Zeichenunterrichte eine so geringe Zeit an- 
gewiesen, dass man Erfolge davon für die Gewerbe kaum erwarten kann. Was für die 
Gewerbe zu geschehen hat, das muss unabhängig und selbständig von der 
gegenwärtigen Organisation der Realschuleu geschehen. Zeichenschnlen 
oder Gewerbeschulen an Realschulen anlehnen zu wollen, ist ein durchaus unglück- 
licher und schon im Principe verwerflicher Gedanke. Wenn man nun also 
damit umgeht, Fir den Zeichenuntcrricht etwas thun zu wollen, so müssen folgende Fragen 
selbständig behandelt werden: 
1. Die Frage der Heranbildung der Zeichenlehrer und kunstgehildeten Zeichner iiir 
Kunstgewerbe und Fabriken; 
2. die Gründung selbständiger Zeichenschulen in Verbindung mit dem Abendunter- 
richte in der Weise, wie die Pariser Zeichenschulen organisirt sind; 
3. die Errichtung von Specialanstalten für bestimmte Zweige der Gewerbe; 
4. der Zeichenunterricht für Volksschulen; 
5. der Zeichenuntcrricht für Mädchen, vorzugsweise aus dem Arbeiterstande. 
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Was nun den ersten Punkt betriEt, nämlich die Heranbildung von Zeichen- 
lehrern für Gewerbeschulen und die Heranbildung von Zeichnern, welche 
eine so umfassende als gründliche Bildung in allen Zweigen der Zeichenkunst und der 
Liodellirkunst erhalten haben, um für verschiedene Zweige der Industrie verwendet zu 
werden, so glaube ich, dass für diese Zwecke die Kunstgewerbeschule des 
öiten- 141119111115, welche mit dem l. October dieses Jahres in das Leben treten wird, 
hinlänglich Sorge tragen wird; ich hege die feste Ueberzeugung, dass nach einem 
Zeitraums von drei Jahren in dieser Knnstgewerbaschule tüchtigere und griindlichsre Lehrer 
für den Zeichenunterricht in Gewerbesehulen, gründliche Zeichner für die verschiedensten 
Zweige der Industrie gebildet werden, als dies in irgend einer anderen Schule der Fall 
ist. Auch steht keiner Kuustgewerbeschnle am Coutinente - Frankreich nicht ausgenom- 
men - ein grösseres, ein reicheres und besser gewähltes Materials des Unterrichtes zu
	        
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