Ein Mahnruf an die Glasindustrle Böhmens.
Wir haben in diesem Organe mehr als Einmal Gelegenheit gehabt,
die gegenwärtige Lage der böhmischen Glasindustrie vom Standpunkte
der Kunst zu beurthcilen, die Nothwendigkeit einer künstlerischen Lei-
tung der böhmischen Glasfabrication zu betonen. Diesmal nehmen wir
in die Spalten der Mittheilungen des Museums ein vorwiegend technolo-
gisches Votum auf, ausgesprochen von J. R. Wagner, Professor der
Technologie in Würzburg, in seinen „Technologischen Studien auf der
allgemeinen Kunst- und Industrie-Ausstellung zu Paris im Jahre 1867",
verfasst auf Veranlassung des königl. bayer. Staatsministeriums des Han-
dels und der öffentlichen Arbeiten. Wir hoffen, das Votum dieses unpar-
theiischen und sachkundigen Fachmannes möge nicht überhört, sondern
am rechten Orte gewürdigt werden. Es lautet:
„Wir gelangen auf unserer Rundschau (durch die Glasausstellung
auf der Pariser Weltausstellung) zu dem Glase Oesterreichs , dessen Fa-
brication durch das Glasmacherpatent der Kaiserin Maria Theresia mächtig
gefördert wurde, welches den einwandernden Glasmachern grosse Ver-
günstigitmgen zugestand. Die Glaserzeugung im Vereine mit der Linnen-
industrie, einst der Stolz und Ruhm des böhmischen Gewerbeiieisses, ist
zum grossen Theil auf den ausländischen Markt angewiesen. Der Ver-
brauch der Producte der böhmischen (und schlesischen) Glasindustrie
setzt andere Culturzustände voraus, als sich in den weitgedehnten östli-
chen Provinzen des Kaiserstaates finden, zumal die Glasobjecte des täg-
lichen und universellen Gebrauches, wie Fensterscheiben, Flaschen, ordi-
näre und gehlasene Spiegel u. dgl., bei den hohen Transportkosten nicht
aus den Centren der Glasindustrie, sondern aus den in allen Kronländern be-
findlichen kleineren Glashütten bezogen werden. Von einem Beherrschen der
fremden Märkte ist nicht mehr die Rede und die böhmische Glasindustrie
muss froh sein, wenn sie nur der Concurrenz der Engländer, Franzosen, Bel-
gier und Zollvereinsländer mit Erfolg widersteht. Das böhmische Glas mit
seiner an den Bergkrystall erinnernden Reinheit und grossen Härte erhielt
an dem bleihaltigen Glase, das mit krystallinischem Schliffe und das Auge
des Beschauers bestechender Farbenzerstreuung zuerst von England aus auf
den Markt geworfen wurde und an dem französischen, gepressten Glase
gefährliche Concurrenten, obgleich des letzteren Verdienst nicht die Güte,
sondern nur die Wohlfeilheit ist. Die meisten böhmischen Glashütten
wurden ursprünglich in holzreichen Gegenden angelegt, wo der Holzpreie
so niedrig war, dass er - ähnlich wie ehedem auf den meisten Glas-
hüttrn des bayerischen Waldes - bei den Productionskosten fast gar
nicht in Betracht kam. Gegenwärtig beträgt der Holzpreis das Dreissig-
und Scchsunddreissigfache und trotzdem werden die meisten Glashütten
Oestcrreichs noch mit Holzfenerung getrieben. Unter solchen Verhält-