307
München die Werke eines Schinkel, Gärtner, Klenze, in Wien die Münze, die Hauptmauth
und das Rlegierungsgebüude in der l-Ierrengasse entstehen sah, welche durch Beschäftigung
italienischer Künstler, wie Peter v. Nobile, Marchese, Bongiovanni u. A. m. Italien an
Oesterreich zu fesseln, der deutschen Kunstbewegung aber den Eingang zu verwehren
suchte.
Unter solchen Verhältnissen hätten Van der Nüll und Siccardsburg es gewagt, das
Banner der Kunst überhaupt und der nationalen Kunst aufzupilanzcn. Dem in geistlosem
Formenwesen erstarrten Classicismus hatten sie die Romantik entgegengestellt, welche
glaubte, sich an keinen Styl binden zu müssen, sondern aus den vorhandenen Elementen
frei etwas Neues schaden zu können. Diesen Grundirrthum der beiden Künstler und des
Romanticismus im Allgemeinen kritisirte der Redner mit aller Schärfe, ohne zu verschwei-
gen, dass die Reaction gerade in dieser Gestalt anregend und befruchtend wirkte, wie die
Romantik im Leben, in der Literatur, in den anderen Künsten. Völlig übereinstimmend
in ihren Leheus- und Kunstauschauungeu und in der Ehrlichkeit, mit der es ihnen nur
um die Suche zu thun war, ergänzten sich beide in der glücklichsten Weise, der Eine
ernst, zurückgezogenem Leben und stillem Schaffen ergeben, der Andere heiter, lebens-
lustig, mittheilsarn. So lebten sie sich in einander ein, dass an ihren gemeinschaftlichen
Entwürfen häufig nicht zu bestimmen ist, wo die Arbeit des Einen aufgehört und die des
Anderen begonnen habe. Nur im Allgemeinen steht fest, dass Siccardsburg's Sache mehr
der constructive, Van der Nüll's der decorative Theil war und dass der Erstere Alles auf
sich nahm, was die praktische Ausführung augiug, während der Letztere in seinem Atelier
zeichnete.
E. Van der Nüll war am 9. Jiinner 1812 zu Wien geboren und starb daselbst am
3. April 1868; August v. Siccardsburg war zu Wien am 6. December 1813 geboren und
starb daselbst am 11.. Juni 1868. Ersterer nahm an der Gründung des Museums den
lebhaftesten Antheil und förderte iu seiner Eigenschaft als Mitglied des Unterrichtsrathes
das Zustandekommen der Kunstgewerbeschule.
Auch um die Hebung der Wiener Kunstindustrie hat Van der Nüll hervorragende
Verdienste. Er war es, der Girurdet mit Entwürfen und Zeichnungen unterstützte und das
Fach der Ledergalauteriewaaren hervorrief, das gegenwärtig in Wien blüht. Ebenso hat
er die Möbelindustrie wesentlich gefördert, und er würde der erste Architekt-Decorateur
seiner Zeit geworden sein, wenn man diese Seite seines Talentes rechtzeitig gefördert hätte.
Die von Beiden gemeinschaftlich ausgeführten grössereu Bauwerke, wie Carl-Theater,
Sophienhad, wurden dann in der Kürze besprochen, der Antheil Van der NiilPs an dem
Ausbau der Altlerchenfelder-Kirche in seiner Bedeutung als erster Versuch polychromer
Ornamentaüon beleuchtet, das Verdienst beider Künstler am Arseualbaue vor der Belve-
derelinie - der Hof des Commandanturgebäudes wird besonders hervorgehoben - betont,
und endlich der Bau des Opernhauses eingehender Betrachtung unterzogen. Dasselbe zeige,
meinte der Redner, in seinem Aeusseren alle Mängel. in seinem inneren alle Vorzüge des
Romanticismus der beiden Architekten.
Die liusserlichen Schwierigkeiten, wie das ungünstige Niveau und die Nöthigung,
alle Räume für die Administration etc, etc. mit dem eigentlichen Theater zu vereinigen,
ein so kolossales Gebäude aber nicht auf einen Platz, sondern in Gassenfronten zu stellen
- alles dies zugegeben, könne das Aeussere des Opernhauses allerdings im Detail in-
teressiren, als Ganzes jedoch vielfältigem Tadel nicht entgehen. Dagegen biete nach dem
Urtbeil von Technikern die Einrichtung der Bühne, der Ventilation etc. etc. Neues und
Nachahmenswerthes in Fülle, die Verhältnisse des Zuschauerraumes entsprechen allen ge-
rechten Anforderungen und in der künstlerischen Ausschmiickung steht dieses Haus einzig
da. Dies gah dem Redner Anlass, den Einduss dieses Baues auf die Entwicklung des
Kunstgewerbes in Wien und die Beschäftigung von Künstlern und Industriellen für den-
selben nüher zu besprechen. Er hob namentlich hervor, dass wenigstens zwei von den
ausgezeichneten Malern, die, in Wien geboren, von Wien lange Zeit verläuguet worden,
Rahl und Schwind, mit ihrer Kunst an diesem grossen Werke mitwirken konnten. Er
betonte dann Van der NülPs grosse Leistungen auf dem Gebiet des eigentlichen Zeich-
nens und Beider Verdienste um die Heranbildung von mehr oder weniger bedeutenden
Schülern. Mit dem Auftreten ihres ausgezeichneten Schülers Heinrich Ferstel, der sich
frühzeitig von der romanischen Regellosigkeit losgesagr, Theophil Hansen's und Friedrich
Schmidth sei nun allerdings eine neue Epoche der Architektur in Wien herangebrochen
und nicht lebhaft genug könne man die Verirrung einiger Schüler Van der Nüll's be-
kämpfen, welche noch der überwundenen Stylvermischung huldigen, und zwar mit Hin-
neigung zu der unserem ganzen Wesen fremden französischen Renaissance. Vor allen
Dingen aber möge man nicht vergessen, dass Van der Nül] und Siccardsburg unsere
Landsleute sind und ihrer Vaterstadt Ehre machen.