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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe II (1867 / 21)

In Wahrheit eignet sich daher der Kreuzstich allein für Ornamente 
in geraden Linien, für geometrisch-musivische Muster, wobei es auf ge- 
schmackvolle Zusammenstellung und Vertheilung der Farben ankommt; 
das ist immer noch eine" künstlerische, wenn auch bescheidene Aufgabe, 
aber selbst hierbei wird das Verdienst verringert, wenn nicht dieselbe 
Hand, welcher die Ausführung zukommt, auch den Entwurf macht, was 
heutzutage gewöhnlich nicht der Fall ist. Denn der Kreuzstich überlässt 
dem künstlerischen Geiiihl der ausführenden Hand gar nichts mehr; es ist 
keine Freiheit, keine Wahl vorhanden; ein hischen Zählen, eine sichere 
Hand - das ist alles. Es ist also somit keine Kunst, nur eine Bescliäfti. 
gung, nur ein Zeitvertreib übrig geblieben, der sich aber dennoch erkühnt, 
die höchstenAufgaben zu lösen. Diese Ueherschätzung seiner selbst ist auch 
eine der Hauptursachen des Verfalls der Stickerkunst gewesen, der von 
jener Zeit an datirt, als der Kreuzstich in der Dilettantenhand überall an 
Stelle der mittelalterlichen Stickweisen trat. 
Aehnlich wie mit dem Kreuzstich verhält es sich mit der Perlstickerei 
(d. h. in Glasperlen), die dem eigentlichen Mittelalter fast unbekannt, 
erst in der neueren Zeit zu ihrer eigentlichen Bliithe gekommen ist. Auch 
sie ist musivische Zusammensetzung, nicht Malerei, und ist vollkommen 
untauglich für jede feinere Ornamentation, ja noch mehr als der Kreuz- 
stich, da sie sich nicht in gleicher Feinheit ausführen lässt. Auch ist die 
Arbeit unsolid, brechlich, schwer und zu Biegungen und Falten sogut wie 
gar nicht geeignet. Die Damen sollten daher nicht darauf den Werth legen, 
der ihr heute zu Theil wird. Was sie allenfalls empfiehlt, das ist der Glanz 
des Materials und seine glatte Oberfläche, die den Schmutz minder leicht 
annimmt. Die künstlerische Thätigkeit ist ebenso gedankenlos und me- 
chanisch wie beim Kreuzstich. 
Ganz anders verhält es sieh mit derjenigen Technik, welche im Mit- 
telalter, in jener Zeit, als die Stickerei in Wahrheit eine Kunst war, am 
meisten geübt worden ist, mit dem Plattstich. Diese Stickart, welche 
ihre Fäden lang oder kurz über die Fläche hinlegt, welche durchaus die 
Freiheit der Richtung hat und Fäden einschieben kann, um Mitteltöne 
und zartellehergänge zu erzielen, sie setzt nicht musivisch zusammen, 
sondern sie malt, und empfiehlt sich schon aus diesem Grunde als die 
vollkolnmenere Technik. Mit ihr ist es möglich, jede geschwungene Linie 
zu Stande zu bringen, mit ihr im Helldunkel durch Schatten und Licht, 
durch Verschmelzung der Farben zu modelliren. Obwohl auch der Platt- 
stich eine Vorlage braucht, oder eine Aufzeichnung auf dem Grundstoffe 
der Stickerei selbst, so ist doch die Nachbildung technisch eine sehr freie 
und erfordert vielleicht mehr Aufmerksamkeit und Nachdenken, als die 
Üopirung eines Aquarells in Aquarell. Bei alten Mustern des Mittelalters, 
die uns noch zahlreich erhalten sind, finden wir gewöhnlich die Contouren 
mit schwarzen Tuschlinien auf einem groben Leinwandstod aufgezeichnet, 
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