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(hier allerdings nicht mit richtigem Geüihl) und solche Gewebe, die grosse Flächen zu
bedecken bestimmt sind, haben sie ein einziges grosses Muster vorgezogen. Sie haben mit
solchen Stoßen ein ganzes Schlafzimmer ausgestattet, Wände und Himmelbett (alles mit
blauem Grund) damit überzogen und sie sonst angebracht, wo es möglich war. Die zarte,
etwas nach der Ueberzartheit des Rococo schmeckende Wirkung ist nicht zu verkennen;
die Zeichnungen enthalten in ihrer naturalistischen Weise viel Gefiilliges, das Enge und
Durchbrochene erscheint meist klar vertheilt; immer aber ist die Klippe vorhanden, dass
hier die schönsten Zeichnungen durch Brüche und Falten zerstört werden und schliesslich
das Resultat eine Verwirrung und Vernichtung der Zeichnung ist. Für kleinere Gegen-
stände, wie Taschentücher, Borduren, Kleider und Kleiderbesatz, haben sich die Schweizer
anderseits mehr an_ kleine, regelmässig vertheilte oder der Form des Gegenstandes ange-
passte Muster gehalten. Ihre Zeichnung aber erscheint insofern durchaus willkürlich, als
Elemente aller Art, naturalistische, stylisirte, geometrische, nach Belieben gewählt sind;
ein bestimmter Styl, eine bestimmte Geschmacksrichtung oder ornamentale Principien lassen
sich nicht erkennen.
Einen eigenthümlichen Eindruck macht eine andere Gattung von Schweizer Weberei,
die gedruckten Baumwollstoße nämlich, welche besonders in der Volkstracht zu Kleidern,
Kopf- und Umschlagtüchern, als Schürzen, Taschen- und Halstücher verwendet werden.
Ihnen ist ein grosser, farbig decorirter Salon eingeräumt worden. Wenn man denselben
betritt, so glaubt man sich in den Orient versetzt, so warm, so farhenglühend, so indisch
roth-hnnt ist der Eindruck. Vom Schweizer heisst es in Hans Weigels Trachtenbuch:
„Der Schweizer, wenn er prangt und pracht,
Geht er in seiner alten Tracht."
Woher nun dieser Orientalismus in den nationalen Costumes des Schweizers, denen
er, leider mit wenig Grund, so gern das Prlidicat des Uralten leiht? Das Räthsel klärt
sich auf, wenn wir näher treten und auf dem rothen Grunde dieser Stoife noch vollständig
die Druckmuster der indischen und persischen Cattune finden. l'.n der That ist, was wir
sehen, ein Abkömmling dieser orientalischen Stoffe, die erst im vorigen Jahrhundert bei
uns eingeführt wurden und in Mode kamen und namentlich im Elsass durch ihre Imitation
den blühendsten Industriezweig hervor-riefen.
In der Schweiz sind sie durch ihre Billigkeit, auch wohl ihre Farbenheiterkeit, was
dem Volksgescbmack noch alle Ehre macht, in die Vulkan-acht eingedrungen und haben
namentlich von der Frauentracht, nebst einzelnen Ueberresten einer älteren, aber darum
dem Ursprung nach kaum echteren nationalen Tracht, vollständig Besitz ergrißen. Mehr
oder minder kann man dieselbe Beobachtung an den Volksnachten Russlands, Scandina-
viens, in verschiedenen Gegenden Deutschlands, ja fast überall in Europa machen. Die
Muster dieser von Hause aus indischen Stode sind allerdings vielfach verändert worden;
auf den Schweizer Fabricaten begegnet man noch, wie gesagt, zum grossen Theil den alten,
echt indischen Ornamenten, und namentlich ist dabei, natürlich absichtslos, die kleine Ver-
theilung vieler Farben auf indisch rothem Grunde beibehalten worden. Daneben sieht man
aber die Schnörkel des Rococo, meistens schwarz eingedruckt, oder häufiger noch unsere
moderne naturalistische Blumistik, sodann nicht minder iigürliche Omamentation, Genre-
bilder, Städteansichten, die Portraits berühmter Personen oder der Herrscher Europa's, letz-
teres zumal auf Taschentiichern, wobei man nicht sagen kann, dass Zweck und Verzierung
in angemessener oder gar anständiger Beziehung stehen. Endlich ist auch das schöne
Indisch-Roth nur zu oft in ein moderneres von gemeinem Ton verwandelt worden. So hat
allerdings der ornnmentale Kunstcharakter dieser Stufe gelitten, dennoch verleugnen sie
auch heute noch ihre orientalische Heimat nicht.
Sollen wir noch einer Specialität der Schweizer Kunstindustrie gedenken, so sind
das die Uhren. Zwar als mechanische Kunstwerke entziehen sie sich unserer Betrach-
tung, und das ist allerdings in eminenter Weise ihre Hauptseite, aber sie sind immer ein
Gegenstand besonderer und auserwählter Verzierung gewesen und diese Verzierung hält
einen anderen Kunstindustriezweig da neben sich in Blütbe, den des Goldschmiede, der
wiederum Graveur und Emaillenr sein muss oder beider nicht entbehren kann. Wir ünden
daher in der Schweiz diese Kunstzweige gegenseitig sich fördern und an einander anlehnen.
Wenn man die Ornameutatrion der Taschenuhren so im Ganzen überschlägt, so wird
mm den Charakter grosser Willkür nicht übersehen können. Der Künstler denkt im All-
gemeinen wenig an die Form seines Geräthes, sondern benützt die Rückseite eben als eine
Fläche, auf der man sich mit gravirten Linien, mit allerlei Malereien und Ornamenten
nach Belieben ergehen kann, wie man denn z. B. für das Schildchen in der Mitte, das
üir Buchstaben reservirt bleibt, regelmässig eine unsymmetrische barocke Form gewählt
findet.
Was von den Uhren, das gilt im Allgemeinen von den Bijouterien dieser Schweizer
Goldschmiede. In ihrer willkürlichen, von Laune und Phantasie abhängigen Weise bieten