27
Theil der Architektur, den sie sich weder in Privatateliers, noch in der
Academie des Beaux-Arts erwerben können. Nach dem Austritte aus
der Ecole centrale des arts et manufactures gehen sie in der Regel in
das Atelier eines Architekten, um sich dort jene künstlerischen Kennt-
nisse zu erwerben, deren Unterricht der genannten Schule fremd ist.
Keiner der drei angedeuteten Wege genügt zur vollständigen Herau-
bildung von Architekten. Die Reform des architektonischen Unterrichtes
in Frankreich ist unvermeidlich geworden. Architekt Tre'lat hat es im
Verein mit Architekten und einer Elite von Staatsmännern und Indu-
striellennnternommen, eine Specialschule für Architektur zu begründen,
die der hohen Stellung entspricht, welche die Architektur heutiges Tags
einnimmt, und die Lücken ausfüllt, die sich in der Organisation des heu-
tigen Unterrichtes in Frankreich fühlbar machen. Die Schule führt den
Titel einer Specialschule für Architektur; mit dieser Schule also, die aus
den erwähnten gesellschaftlichen Bedürfnissen Frankreichs hervorgegangen
ist, wollen wir uns nun beschäftigen.
In dieser Specialschule für Architektur handelt es sich vor Allem,
die Architektur als Kunst zu behandeln und den Zögling zugleich in den
Besitz aller wissenschaftlichen Kenntnisse, deren Beihilfe ein Architekt
bedarf, aller Ausdrucksweisen, deren er im praktischen Leben nöthig hat,
zu setzen. Jeder Zweig der menschlichen Geistesthätigkeit kommt bei
dem höheren Aufschwunge in die Lage, dass die Anstalten, die sich mit
Förderung desselben beschäftigen, ihn isoliren und ihr Ziel selbständig
verfolgen. Unter den mit der Architektur verwandten Zweigen ist es der
Ingenieur im weitesten Sinne des Wortes, der am meisten, am selbstän-
digsten und am besten für seine Ausbildung sorgt. Das Strassen- und
Eisenbahnwesen, Industrie und Manufactnr haben heutiges Tages eine
solche Ausdehnung gewonnen, dass es unerlässlich nothwendig geworden
ist Schulen zu gründen, die speeiell für das Ingenieurwesen und für die
Industrie sorgen. Die Ausbildung des Architekten schwankt zwischen
den Akademien der bildenden Künste, denen der wissenschaftliche Ap-
parat vollständig fehlt, der zur Heranbildung des Architekten nötbig ist,
und technischen Anstalten, welche der künstlerischen Unterlage entbehren,
ohne welche die Architektur nicht gedeihen kann. In dem Masse als der
Constructeur und der Ingenieur gedeihen, in dijm Masse leidet der Ar-
chitekt; in Frankreich vor allem entwickelt sich der Ingenieur auf Kosten
des Architekten. Der architektonische Unterricht muss der Kunst wieder
zurückgegeben werden, diese muss der Mittelpunkt sein, um den sich
der gesammte architektonische Unterricht gruppirt. Nach den Erfah-
rungen, wie sie heutiges Tages vorliegen, ist es zwar gewiss, dass durch
einen positiven architektonischen Unterricht die Kunst nicht geschaffen
wird; aber ebenso gewiss, dass durch den Mangel eines solchen Unter-
richtes die Kunst selbst erlahmt.