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sein, sie gewissermassen auf eine andere Basis zu stellen, die Kosten zu verringern und
ihr einen anderen Charakter, andere Principien zu verleihen.
Die bisherigen Weltausstellungen haben unleugbar grossen Nutzen gestiftet, sie haben
einen ungeahnten Schwung in das industrielle Leben, in den Weltverkehr gebracht, sie
haben Lehren, Erfahrungen, Anregungen nach allen Seiten hin ausgesaet und die Saat ist
üppig aufgegangen. Niemand kann sich dieser Wahrnehmung entziehen und die That-
sachen bestreiten.
Aber man kann fragen, ob zu diesem Resultat der riesenhafte Aufwand, sagen wir
es geradezu, der grossartige Schwindel, der sich an die Weltausstellungen hing, eine
Nulhwendigkeit gewesen, an nicht dasselbe Resultat auf einfacherem Wege zu erzielen
gewesen, ob nicht jene Lehren und Erfahrungen hatten auf directem Wege genommen
werden können.
Diese Frage legte man sich in England vor und ihre factische Beantwortung war
die Ausstellung, welche in dem verflossenen Sommer dieses Jahres in London stattgefunden
hat oder vielmehr eroffnet worden ist.
Wir sehen also, diese neue Ausstellung tritt in Gegensatz zu jenen grossen universalen
Weltausstellungen, deren Reihe begann mit der Londoner Ausstellung des Jahres i85i und
mit der Pariser von 1867 ihren vorläufigen Abschluss erhalten zu haben schien. Sie will
es ausdrücklich anders machen, sie will die riesigen Kosten, die vorzugsweise auf der
Anlage des Gebaudes beruhen , vermeiden, sie will all dem aussern Schein und Pomp
entsagen, sie will durch gesunde, richtige Principien, durch consequent durchgeführte Sy-
stematik direct auf den Unterricht, aul die Lehre, auf die Bildung lossteuern. Diese Aus-
stellung soll ein nationales Culturinstilut sein, berufen, die Nation durch Kunstbil-
dung, durch Veredlung des Geschmackes, durch die Wissenschaft und ihre erziehende Kraft
auf eine hohere Stufe der Civilisation zu heben. Das ist der ausgesprochene Zweck dieser
Londoner Ausstellung.. Wahrlich, ein hohes und schones Ziel!
Betrachten wir diejenigen Personen oder vielmehr diejenige Anstalt, unter deren
Auspicien die neue Weltausstellung in Scene ging, so schienen sie allerdings einige Garantie
lür das Gelingen, für das hrreichen des Zieles zu bieten. Nominell waren es diejenigen
Herren, welche das Comite von iöiii gebildet hatten, soviele davon noch am Leben, die
an die Spitze des Unternehmens traten; sie waren zur Verwaltung jener bedeutenden Summe,
die von der Ausstellung von x85: erubrigt worden, als Körperschaft beisammen geblieben
und eben diese Summe, die der Verbindung von Kunst und Industrie vorzugsweise gewidmet
war, bildete den nothwendigen Fond der neuen Ausstellung. In Wahrheit war es aber die
Leitung des Kensington-Museums, welche den Gedanken dieser Ausstellung geschaffen hatte,
welche die treibende Seele blieb und auch die Ausführung in Händen behielt. Unter den
Auspicien dieser berühmten Anstalt also ist das Werk vor sich gegangen.
Das Kensington-Museum hat sich unleugbar grosse Verdienste nicht blos um England,
sondern urn hnropa erworben. Es hat zuerst den Gedanken der modernen Geschmacks-
reform praktisch in die Welt gesetzt, es hat die richtigen Wege gezeigt, für die eigene
lNation die Sache energisch in die Hand genommen und dadurch jene grossartige kunst-
lerische Bewegung in der Industrie hervorgerufen, die heute schon ein Stuck Cultur-
geschichte geworden ist. Aber wenn es diese Bewegung hervorgerufen hat, so ver-
mochte es leider nicht dieselbe zu leiten, und heute sind die Zügel seiner Hand ent-
glitten. Der Umschwung, welchen die englische Industrie in künstlerischer Beziehung
wahrend der letzten fünfzehn oder zwanzig Jahre erfahren hat, ist ein enormer, aber er
gleicht einem verwilderten Strome, der uneingeschränkt sich selbst sein Bett sucht und
ziellos hierhin und dorthin liuthet.
Wer das Kensington-Museum, seinen Inhalt und seine Einrichtungen mit kritisch
prüfendem Blicke mustert, dem wird diese jüngste Entwicklung der Dinge begreif lieh
vorkommen. Ich will nicht von der Opposition reden, welche das Museum in England bei
den Kunstfreunden und Kunstgelehrten rindet, ich will nicht der ziemlich allgemeinen Klage,
die oft genug in die Presse gedrungen ist, gedenken, dass die zahlreichen Zeichenschulen,
welche unter der Leitung des Museums stehen, mit ungenügenden Kräften versehen wer-
den; ich will nur einen Blick in die Raume des Museums werfen und betrachten, was
sich dem Auge darstellt.
Das Museum ist nach und nach entstanden, rasch gewachsen und ich will nicht
tadeln, dass es diesem Gange der Entwicklung entsprechend einen Raum dem andern plan-
los hinzugefügt hat. Allmahlig hatte aber wohl in dieses Gewirre von Salen, Hallen,
Nischen, Gangen, Corridoren und Galerien ein wenig Ordnung und System gebracht werden
konnen, zumal die Mittel reichlich vorhanden waren. Immer aber ist es heute noch das-
selbe Labyrinth, wie es sich uns vor Jahren dargestellt hat. Zwar erhebt sich jetzt auf
den Gründen des Museums mit der Front gegen die Strasse ein ltolossales monumental
reich geschrntickies Gebäude, aber auch das ist nicht das Museum, sondern nur eine mit
ihm in Verbindung stehende Marineschule. Wir begreifen diese Schule für England, aber
wir begreifen sie nicht auf dem Boden und in Verbindung mit dem Museum.