lehnte Stoffe in dem vollendeten Vasenstyl eine feinere und edlere Durch-
bildung. Es ist uns, als wenn wir das ganze Leben und Treiben der
Menschen aus jenen goldenen Tagen der Kunst in seiner vollen heiteren
Ungebundenheit und geisterfüllten Grazie vor unseren Blicken wieder
auferstehen sähen. 1 '
ll.
Wir hatten uns von den bemalten Thongefässen attischer Fabrication
eine Gattung für die spätere Betrachtung aufgespart, welche sowohl durch
die Eigenartigkeit ihrer Technik, als durch den hohen künstlerischen Reiz
und die feine Beseelung ihrer Darstellungen ein ganz besonderes Interesse
erwecken: nämlich die Vasen und zwar namentlich die sogenannten Le-
kythen mit farbigen Malereien auf weissem Grunde.
Schon im fünften Jahrhundert vor Christo, zur Zeit der Herrschaft
des früher geschilderten strengen Styls der Vasenbilder, kommen neben
den üblichen Gefässen mit rothen Malereien auf schwarzem Grunde auch
solche Vasen in grösserer Anzahl vor, welche, sei es an einzelnen Theilen,
z. B. im Inneren der Schalen, sei es durchwegs, diese veränderte Technik
zeigen. (Beispiele mit voreuklidischen Inschriften bei Benndorf, 'Gr. u.
sicil. V. pag. 25.) Die weisse Grundirung allein (statt der rothen) kommt
auch bei schwarzügurigen Vasen häufig vor. (O. Jahn, Einl. pag. cLxxn
u. B.) Und man kann annehmen, dass ihre Anwendung noch in ein
viel höheres Alter zurückreicht. Denn im Grunde genommen handelt es
sich hier um ein sehr primitives Verfahren, welches die Griechen und
ebenso auch die orientalischen Völker bei ihrem Thongeschirr und bei
mannigfachen plastischen Arbeiten, z. B. den kleinen Terracottafigürchen
und Reliefs, zu allen Zeiten angewendet haben. Der Thon wird bei diesen
Gefässen nach dem ersten Brennen mit einem Ueberzug von weissem
Kaolin oder Pfeifenthon versehen, und darauf dann entweder eine schlichte
Contourzeichnung oder Malerei in hellen, meistens rothen, violetten,
blauen oder bräunlichen Farben aufgetragen. Ueber die näheren Umstände
bei der Procedur, namentlich über das Bindemittel und über die färben-
den Substanzen, sind wir noch nicht hinreichend unterrichtet. Jeden-
falls aber scheinen die Malereien bei einem etwaigenzweiten Brennen
keiner grossen Hitze mehr ausgesetzt worden zu sein, da sie sich, wie
ja auch die meisten ursprünglich bemalten Terracottafiguren, fast durch-
wegs in einem Zustande starker Verwitterung finden. Oft siebt man auf
dem Kaolingrunde gar keine Zeichnung mehr, vielfach ist auch der
Grund selbst angegriffen. Semper (Stil, II, 146 H.) fand, dass die Farben-
Spuren an den von ihm untersuchten attischen Marmortempeln (Theseion,
Parthenon etc.) aus derselben, wie er sich ausdrückt „ambraähnlichen,
mehr oder weniger opaken Paste" bestehen, wie die enkaustischen Ma-
lereien der weissgrundirten Thongefässe, und nimmt es für die meisten
Fälle als ausgemacht an, dass der Pfeifenthongrund nicht ganz weise
blieb, sondern mit einer jetzt verschwundenen Lasur an die. lebhaften