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köstlichen Seitenhöfen nächst den Stiegenhäusern gibt er sich wieder ganz
dem freien Reiz der Flächeneintheilung und gemäßigten Formenhaltung
im Sinne Bramante's hin, gleichsam zu eigenster Befriedigung. Schon
früher übersetzte er im chemischen Laboratorium (an der Währingerstraße)
das glatte Pilastersystem vom Palazzo Giraud aus dem Travertin in
Ziegelrohbau und reproducirte dort die echte, charakteristische Fenster-
hildung Bramante's. In dem Project für das Berliner Reichsrathsgebäude,
mit welchem er damals in die Concurrenz mit eintrat, suchte er vollends
den machtvollsten Baugedanken des großen Meisters, dessen hemisphärische
Kuppelform mit dem umlaufenden Säulenkreis um den Tambour - nach
dem ursprünglichen Entwurfe für die Peterskirche in Rom - einen
modern monumentalen Zweck in geistvollster Weise zu adaptiren. Er
setzte diese Kuppel - die alles central Abschließende, im geistlichen und
weltlichen Sinne, für Kirche und Staat bedeuten kann - über einen sehr
vornehm disponirten Bau, vorn mit einem schön gegiebelten Porticus,
beiderseits mit schlanken Aufbauten, welche oben Quadrigen tragen. Es
lässt sich nicht verkennen, daß unser Architekt hier nicht nur bezüglich
der Kuppel, sondern überhaupt durch den ganzen Facadenaufriß nach
dem Project Bramante's, die zwei der Kuppel sich unterordnenden Thürme
mit eingerechnet (nach dem bekannten Geymüllefschen Blatt), sich für
seine Conception anregen ließ. Aber mit welch' genialem Griff, in wie
sinnreicher Umbildung ist dies gethan! Wenn der künstlerisch so hoch-
stehende Entwurf nicht acceptirt wurde, so lag die Schuld -- wie Eitel-
berger richtig herausfand - an dem Einfluß von gewissen localen Ele-
menten, welche sich dem selbständigen Künstler so oft auf fremdem Boden
enrgegenstellen. Uebrigens ganz dasselbe, was Ferstel in Berlin, erfuhr
Semper wieder in Wien. Fast noch Schlimmeres. Denn er hat thatsächlich
wesentlich bestimmend auf die Gestaltung der großen Hofbauten ein-
gewirkt, ohne an der wohlverdienten Ehre zu participiren, hierbei mit
genannt ZU WCfdClI.
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lch habe den Bau-Aesthetiker Ferstel (denn er war auch ein
solcher) in einem Zuge sich aussprechen lassen; ich dachte wohl, es werde
diesen Zuhörerkreis durchwegs interessiren, die Principien, welche ihn bei
seinem künstlerischen Schaffen leiteten, näher kennen zu lernen. Nach
Eitelbergefs richtiger Bezeichnung wgehörte er nicht zu den gelehrten
Architekten, wie z. B. Gottfried Semper, Viollet-le-Duc, C. Bötticher
und Hittorf solche gewesen sind. Aber er gehörte zweifelsohne zu den
höchstgebildeten Architekten deutscher Nation der Gegenwart..-
Jetzt wollen wir aber den schaßenden Baukünstler Ferstel doch
weiter auf einheimischem Boden bauen sehen. Wir lenken auf den
nächsten Schauplatz seiner Bauthätigkeit wieder ein. Er führt uns
vom Stubenring, wo das wOesterr. Museum-l steht, weiter fort bis zum
Franzensring - und dort zu seinem Hauptbau, der Universität.