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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 4)

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cyklopiscbe Verhältnisse bestimmt scheinenden, in ungebrochener Hori- 
zontale dahinlastenden Gebälken u. s. w. übernommen hätte. 
Wir haben nun bisher drei Renaissancen der Kunst kennen gelernt, 
die in ihrem Grundcharakter die engste Verwandtschaft untereinander 
aufweisen. Die "Wiedergeburtu bestand in allen drei Fällen, wie wir 
gesehen haben, in der Wiederherstellung gewisser älterer Formen, die 
dem jeweiligen Zeitgeschmack zusagender vorkamen, als diejenigen Formen, 
die man eben als historisch gewordenes Product vor sich hatte. Aber in 
keinem der drei Fälle war mit dieser Wiederherstellung von vorneherein 
beabsichtigt, aus der historisch gewordenen Stilweise vollständig und 
gewaltsam herauszukommen; man wollte vielmehr zunächst nur gewisse 
Vorzüge älterer Stilperioden auf die eigene übertragen. Dieser ganz 
entscheidende Punkt fand sich auch überall, in allen drei Renaissancen, 
unzweideutig zum Ausdrucke gebracht durch den Umstand, dass die 
ältere Kunstweise, aus der man sich Vorbilder holte, eine der eigenen 
nächstverwandte sein musste. 
Dass nur eine Benutzung nach Bedürfniss, nicht aber eine gänzliche 
Wiederherstellung des Alten in Bausch und Bogen das Endziel aller drei 
Renaissancen gewesen ist, geht auch aus dem Ergebnisse deutlich hervor, 
zu welchem dieselben schließlich geführt haben: aus allen dreien ist 
nämlich im weiteren Verlaufe etwas ganz Anderes zu Stande gekommen, 
als eine Restauration der römischen Antike. Anstatt sich der römischen 
Antike zu nähern, hat man sich in der That nur immer weiter davon 
entfernt. Auf die karolingische Renaissance folgte der romanische Stil, 
auf die toskanische Protorenaissance die italienische Gothik, auf die 
italienische Friihrenaissance die sogenannte Hochrenaissance, die min- 
destens auf dern Gebiete der Architektur den Barockstil direct eingeleitet 
hat. Die Künstler aller drei Renaissancen haben eben den Blick stets 
vorwärts gewendet gehabt, sie dachten gar nicht so schlecht von ihrer 
eigenen, durch ihre unmittelbaren Vorgänger gewordenen Kunst, und 
sie hielten es darum auch gar nicht für nöthig, alte, vergangene Stil- 
weisen dem Wesen nach zu restauriren. Aber mit offenem Auge erkannten 
sie das Schöne, das sie in verwandten Kunstweisen älterer Werke vor- 
fanden, und wussten es klug für die eigenen Zwecke zu nützen und so 
in der weiteren Folge ein wirklich fruchtbares Neues daraus zu gestalten. 
Ausser diesen drei Renaissancen verzeichnet die Kunstgeschichte noch 
eine Reihe anderer, die in neuerer Zeit auf nichtitalienischem Boden 
entstanden sind. Diese nichtitalienischen Renaissancen fallen sämmtlich 
später als das italienische Quattrocento, und haben den Grundzug 
untereinander gemein, dass sie den Anstoß zu ihrer Entstehung särnmtlich 
eben durch die italienische Renaissance des 15. Jahrhunderts empfangen 
haben. 
So spricht man von einer deutschen und einer französischen, einer 
englischen und einer spanischen Renaissance. Es ergibt sich für uns 
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