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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 4)

Als Bahnbrecher der Renaissance in Florenz nennt man gemeiniglich 
Filippo Brunellesco, und als sein berühtntestes Bauwerk die Domkuppel 
von Florenz. Diese Domkuppel wäre aber in Florenz zu jener Zeit gar 
nicht denkbar gewesen ohne die vorangegangene Herrschaft des gothischen 
Baustils. Die Gothik war die Schule, welche die italienische Baukunst 
durchmachen musste, um so weitgespannte Wölbungsbauten zu schaffen, 
wie die Domkuppel zu Florenz. Diese Kuppel war auch nicht erst von 
Brunellesco in den Plan der Kirche aufgenommen worden; sie hatte 
schon von Anbeginn auf dem Bauprogramme gestanden, sie findet sich 
schon auf dem Bauplan des Arnolfo di Cambio, aus der Zeit der vollen 
Herrschaft der Gothik in Florenz, und sie war das ganze 14. Jahrhundert 
hindurch beständig ein Gegenstand der Sorge der Dombaumeister ge- 
wesen. Gerade die Domkuppel Brunellescds ist somit besonders geeignet, 
uns zu lehren, dass die Florentiner keineswegs gewillt waren, die blei- 
benden, classischen Errungenschaften ihrer Baukunst aus der gothischen 
Stilperiode preiszugeben. Nur das Detail, das sie seinerzeit bei der Ein- 
führung der Gothik hatten mit in Kauf nehmen müssen, empfanden sie 
lästig. So beseitigten sie den Spitzbogen und adoptirten. dafür wieder 
den in der That schöneren Rundbogen; so ließen sie den Pfeiler zurück- 
treten und griffen wiederum nach der formschöneren Säule. 
Aber auch hinsichtlich der Umwandlung des Details aus einem 
gothischen in ein antikisirendes hatten es die Italiener nicht so schwer, 
wie wir nach unserer nordischen Anschauung vom gothischen Baustil 
glauben könnten. So ein nordisch-gothischer Dom erscheint uns fast bis 
in das kleinste Detail als der strengste Widerpart eines antiken Bauwerks, 
etwa eines antiken Tempels. Von einem nordisch-gothischen Bau hat 
dies auch in der That seine Richtigkeit, aber keineswegs von einem 
italienisch-gothischen. Der ganze schwere gothische Apparat von Strebe- 
pfeilern und Strebebogen, Fialen und Wimpergeu fehlte der italienischen 
Gothik von Haus aus so gut wie vollständig, vereinzelte Ausnahmen ab- 
gerechnet. Dagegen hat die italienische Gothik allezeit vieles von dem 
antikisirenden Detail beibehalten, das die toskanische Protorenaissance 
wiederum in Gebrauch gesetzt hatte: namentlich die feineren Profile und 
Zierglieder, die Eier- und Perlstäbe, die Akanthusranken u. s. w. 
Nach alledem werden wir Vasari's Darstellung, als ob sich die Flo- 
rentiner Bahnbrecher der Renaissance gewaltsam von der gothischen Stil- 
weise hätten befreien müssen, einer Berichtigung unterziehen dürfen. 
Zu einer solchen gewaltsamen Befreiung war weder ein Anlass geboten, 
noch hat man da eine solche in der That vollzogen. Man stak von 
vorneherein nicht so tief in der nordischen Gothik, dass es erst eines 
größeren Kraftaufwandes bedurft hätte, um davon loszukommen. Aber 
auch die Gegnerschaft, in die man nun zur überwundenen Gothik ge- 
treten ist, war zunächst gar keine so grundsätzliche. Sie war allerdings 
eine stärkere, als diejenige, in welcher die karolingische und die frühere
	        
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