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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 4)

toskanische Renaissance zu ihren unmittelbaren Vorlauferinnen getreten 
waren; aber diese beiden früheren Renaissancen hatten auch nichts Wesen- 
fremdes auszustoßen, sie hatten blos einen verrohten, uralten Eigeubesitz 
zu verbessern, in seiner ursprünglichen Reinheit wieder herzustellen. 
Die florentinische Renaissance des r5. Jahrhunderts musste dagegen im 
gothischen Detail in der That einen fremden Eindringling erblicken, den 
sie strenge zu beseitigen hatte; was aber von diesem Eindringling die 
italienische Baukunst auch für ihre ferneren Ziele gebrauchen konnte, 
das sind namentlich gewisse constructive Qualitäten der Gothik, das hat 
die Renaissance scrupellos beibehalten. 
Also wir sehen schon: auch diese italienische Renaissance des 
I5. Jahrhunderts war nicht eine Wiedergeburt von Grund aus, eine 
Renaissance, ausschließlich um der Alten willen, wie es nach Vasari's 
Darstellung scheinen möchte. Man darf eben nicht vergessen, dass Vasari 
fest anderthalb Jahrhunderte später schrieb, als die tlorentinische Früh- 
renaissance aufgekommen war, dass er also für die Bedingungen dieses 
Aufkommens durchaus nicht mehr als zuverlässiger Gewährsmann ange- 
sehen werden darf. Die italienische Friihrenaissance wollte Neues, Großes, 
Schönes bauen, aber sie hatte dabei den Blick nach vorwärts gerichtet; 
sie suchte die Aufgaben, wie die neuangebrochene Zeit sie stellte, und 
wie sie, zum größten Theile wenigstens, schon die gothische Zeit gestellt 
hatte, selbständig zu lösen. Sie glaubte dabei allerdings am sichersten 
zu gehen, wenn sie die Anlehnung an ältere Vorbilder suchte. Aber 
diese älteren Vorbilder waren nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zur 
Erreichung des Zweckes. Waren für die Lösung einer bestimmten Auf- 
gabe geeignete alte Vorbilder nicht gegeben, so verzichtete man darum 
noch nicht auf die Lösung, sondern versuchte sie aus der eigenen Kunst 
heraus, wie sie in der gothischen Stilperiude historisch geworden war. 
Das Alte selbst aber übernahm man nur dann, wenn es dem jeweilig 
gegebenen Zwecke zu passen schien, wenn es dem eigenen souveränen 
Geschmacke zusagte. 
In dem Verhältnisse der Renaissance des 15. Jahrhunderts zu den 
walten Vorbildern- liegt überhaupt ein springender Punkt für die Beur- 
theilung der ganzen Kunstrichtung. Um dies zu können, möge wiederum 
eine Parallele aus einem anderen Culturgebiete - demjenigen der Schrift 
- herbeigezogen werden. 
Die Entwicklung der Schrift läuft im ganzen Mittelalter parallel 
derjenigen der Kunst. So wie es eine romanische und eine gothische 
Kunst gegeben hat, gibt es auch eine romanische und eine gothische 
Schrift. Und so wie die italienische Gothik eine andere ist als die nor- 
dische Gothik, gilt das Gleiche auch von der italienisch- gotbischen 
Schrift im Verhältnisse zur nordisch-gothischen. Die italienisch-gothische 
Schrift hat zwar gewisse allgemeine Charakterzüge des Stils mit der 
nordisch-gothischen gemein, so namentlich das in's Hohe und Schmale
	        
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