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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1894 / 5)

die zugleich theilweise Umbildungen zur Folge haben mussten. Aber 
trotzdem erkennen wir noch in den schönen und lebensvoll entwickelten 
Nachbildungen der Griechen - in ihren Proülblüthen, Knospen, Rosetten 
und Palmetten - deutlich und unverkennbar deren Urbilder aus der alt- 
ägyptischen Kunst. Neben diesen ebengenannten Motiven gewinnt seit 
der Zeit des Phidias und Perikles besondere und überragende Bedeutung 
das Ornamentmotiv des sogenannten Akanthus. Die Entstehung dieses 
Ornamentmotivs haben schon die Alten in eine schöne Sage gekleidet, 
und dieselbe auf eine aus ganz zufälligen Gründen erfolgte Nachbildung 
der Akanthuspflanze, eines im Süden häufig vorkommenden Unkrauts, 
zurückgeführt. Die neuesten Untersuchungen haben aber ergeben, dass 
auch das sogenannte Akanthusornament nicht auf die Nachbildung eines 
unmittelbaren natürlichen Pfianzenvorbildes durch die Griechen zurück- 
geht, sondern im Wege rein künstlerischer Entwickelung aus der uralten 
ägyptischen Lotus-Palmetten-Ornameutik entstanden ist. In der späteren 
Zeit nach Alexander dem Grossen, und namentlich in der römischen 
Kaiserzeit hat man in der Ornamentbildung allerdings vorübergehend 
auch an einzelne natürliche Pflanzenvorbilder angeknüpft, aber das Vor- 
herrschende und Bleibende sind doch die von Altersher überlieferten, aus 
der ägyptischen Urkunst herstammenden Pfianzenornamente geblieben. 
Dies noch von den Motiven vorausgeschickt, gelangen wir endlich 
zum eigentlichen Gegenstande unserer Untersuchung, zur Ranke als 
solchen. Wie schon gesagt wurde, soll dieselbe zur Verbindung der 
einzelnen, zu einem Ornamente zusammengefügten Pflanzenmotive dienen 
und ist von der natürlichen Erscheinung des Pflanzenstengels abgeleitet. 
Warum nennen wir nun die bezügliche Verbindung nicht Stengel, sondern 
Ranke? Mit dem Begriße des Stengels pHegen wir ein mehr oder minder 
geradliniges, starres Emporragen oder seitliches Ausladen zu verknüpfen. 
In diesem Sinne in eine formale Erscheinung gebracht, würde die Ver- 
bindung einen zwar correct-geradlinigen, aber starr-geometrischen Charakter 
annehmen. Die ältesten Verbindungen von Pfianzenornamenten, die wir 
kennen, trugen auch diesen Charakter; aber wie schon ganz im Eingange 
hervorgehoben wurde, konnte ein vorgeschrittenes, anspruchsvolleres 
Kunstwollen bei solchen mineralisch-geometrischen Kunstformen, die alles 
Leben vermissen lassen, nicht stehen bleiben. Man suchte und fand eine 
bewegtere, lebendigere Art der Verbindung als den starren Stengel, und 
das auf solchem Wege zu Stande gekommene Ergebniss nennen wir die 
ornamentale Ranke. Der Grund, warum wir gerade diese Bezeichnung 
dafür gewählt haben, liegt in der obwaltenden Verwandtschaft der nun- 
mehr gefundenen Verbindung mit der natürlichen Pflanzenranke. Charak- 
teristisch für die natürliche Pßanzenranke, z. B. für die Epheuranke, die 
Rebenranke, ist das Vorwärtsstreben in und ulirender Bewegung. Die 
natürliche Pfianzenranke ist nicht ein starrer Stengel, der auf dem 
geradesten und kürzesten Wege dem Himmelslichte zustrebt, sondern sie
	        
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