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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1894 / 6)

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eine Weltanschauung, die nicht das Schöne in der sinnlichen Erscheinung 
zur Verkörperung ihrer höchsten Gedanken und Vorstellungen suchte, 
wie dies der alte heidnische Götterglauben gethan hatte. Die naive Kunst- 
freude kam so allmälig abhanden aus der Welt. Man ging nicht mehr 
aus auf lebensvolle Charakterisirung in der Kunst. Es konnte zwar auch 
der christliche Cult der Kunst nicht entrathen, aber ihm galt als Höchstes 
der abstracte Gedanke, das Uebersinnliche, das sich in körperliche Formen 
nicht fassen ließ, und wofür das Symbol als äußeres Gedächtnisszeichen 
genügte. Es ist begreiflich, dass eine solche Zeit nicht mehr Werth legte 
auf eine harmonische Bildung der Pflanzenranke, bei welcher in vollendet 
schöner und augenfälliger Weise Rechnung getragen war einerseits den 
symmetrisch-künstlerischen Gesetzen, anderseits der individuellen Lebens- 
fülle des pflanzlichen Vorbildes. Das Pf-lanzen-Rankenornament war zwar 
nun einmal da und behauptete seinen Platz: aber man unterdrückte in 
zunehmendem Maße die naturalisirenden Elemente an den Motiven, und 
näherte ihre Erscheinung wiederum dem Mineralisch-Geometrischen. In 
dieser Form ist nun das Rankenornament nach Zerschlagung des römi- 
schen Weltreichs und der römischen Weltkunst in das Mittelalter über- 
gegangen. 
Am Beginne des Mittelalters lag der Schwerpunkt der Cultur wiederum, 
wie zwei Jahrtausende früher, im Osten. Zur Zeit Justinians durfte das 
byzantinische Reich nicht blos in politischem Sinne, sondern auch in 
jeder culturellen Beziehung als der eigentliche, legitime Erbe des zu 
Grunde gegangenen Römerreiches gelten. lm byzantinischen Osten haben 
nun jene Elemente, die bereits in der Kunst der späten Antike eine 
Abkehr von der Freude an der lebensvnllen, sinnlichen Erscheinung 
herbeigeführt hatten, sich in ganz besonderem Maße geltend gemacht. 
Die äußerste Consequenz hievon bildete der sogenannte Bildersturm, der 
vom 8. Jahrhundert ab der Kunst im byzantinischen Reiche so unermess- 
lichen und niemals gutzumachenden Schaden gebracht hat. Dass unter 
solchen Verhältnissen das Rankenornament in der byzantinischen Kunst 
nicht eine Bereicherung in naturalistischem Sinne, sondern höchstens 
eine zunehmende Schematisirung, Geometrisirung erfahren konnte, liegt 
auf der Hand. Damit wird es auch zusammenhängen, dass wir in der 
byzantinischen Ornamentik so häufig den uralten griechischen Palmetten- 
ranken begegnen; diese letzteren erschienen nämlich strenger, symme- 
trischer gegenüber den späteren römischen Akanthusranken, und em- 
pfahlen sich dadurch in höherem Maße zur Nachahmung. Aber die 
äußersten Consequenzen aus dieser Tendenz auf geometrisirende Be- 
handlung des Pfianzenornaments haben doch die Byzantiner nicht gezogen: 
wie der Bildersturm bei ihnen nur eine vorübergehende Episode gewesen 
ist, wie sie trotz ihrer grundsätzlichen Abneigung gegen figürliche Dar- 
stellungen in der religiösen Kunst doch nicht endgiltig bis zur absoluten 
Verwerfung derselben geschritten sind, so haben sie auch im Pflanzen-
	        
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