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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1894 / 6)

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Also das nach seiner ethnographischen Zugehörigkeit heute noch 
räthselhafte mykenische Kunstvolk ist es gewesen, dem sich "zuerst die 
Schönheit der Rankenverbindung geolfenbart hat. Und wie die Hellenen 
der hellen historischen Zeit die überlieferten orientalischen Pflanzen- 
motive - die Lotusblüthe, die Palmette u. s. w. - unbekümmert um 
deren ursprüngliche, sei es pflanzliche, sei es religiös-symbolische Bedeu- 
tung, lediglich unter künstlerischen Gesichtspunkten, lediglich geleitet 
von dem Bestreben, ein vollendet schönes Ornamentgebilde zu schaffen, 
fortentwickelt haben, ebenso haben sie auch die unendliche Verwendungs- 
fähigkeit der Ranke in dem gleichen Sinne des vollendet Kunstschönen 
erkannt und dieselbe zum Hauptmotiv ihrer Decoration gemacht. 
In der reiferen griechischen Kunst, etwa von der Zeit des Perikles 
ab, macht sich ein leiser Zug zum Naturalismus bemerkbar, der zwar 
nicht so sehr darauf ausging, neue Vorbilder aus dem Pflanzenreiche in 
die Decoration einzuführen, als vielmehr die schon vorhandenen - eben 
die im Sinne des vollendet Schönen ausgebildeten altägyptischen Lotus- 
motive - der natürlichen Erscheinung des Pflanzenlebens anzunähern. 
Das wichtigste Product dieses Strebens war das Ornament des sogenannten 
Akanthus. Der Akanthus wurde sofort mit der Ranke in Verbindung 
gesetzt, und es entstand die Akanthusranke. Selbst in dieser Ver- 
quickung mit einem naturalisirenden Motiv hat aber die Ranke ihre seit 
der mykenischen Kunst typischen Formen nicht eingebüßt. Auch die 
Akanthusranke befolgt nur entweder das iSchema der fortlaufenden, oder 
dasjenige der intermittirenden Wellenranke. Die wichtigste, ja herrschende 
Stellung innerhalb des Ornaments hat die Akanthusranke in der Kunst der 
römischen Kaiserzeit gewonnen. Die schweren, üppigen, buschigen 
Akanthusranken sind geradezu charakteristisch für das römische Ornament. 
Und weil das römische Ornament den Ausgangspunkt für alle späteren 
Renaissancen der Antike, im Mittelalter sowohl als in der neueren Zeit, 
abgegeben hat, so ist damit schon gesagt, dass auch die spätere Orna- 
mentik bis auf das ig. Jahrhundert immer und immer wieder auf die 
Akanthusranke zurückverwiesen worden ist, und in der That darauf 
zurückgegriffen hat. V 
Wenn in der griechischen Kunst in deren reiferen Entwicklungs- 
stadien sich eine Tendenz nach Betonung des Naturalistischen geltend 
gemacht hat, so lässt sich in der späteren römischen Kunst, gegen Aus- 
gang der Antike, wiederum eine entgegengesetzte Tendenz wahrnehmen. 
Man zeigt sich etwa vom 3. Jahrhundert n. Chr. ab allmälig bestrebt, 
den decorativen Pflanzenmotiven ihren naturalistischen Charakter wiederum 
_zu benehmen. Diese Tendenz steht in der Kunst nicht vereinzelt; sie 
durchdringt vielmehr die gesammte damalige Cultur. Es waren härtere 
Zeiten über die Menschheit gekommen; was blos formalen Werth besaß, 
musste hinter dem Streben nach materieller Verbesserung zurücktreten. 
Eine neue Weltanschauung war (mit dem Christenthume aufgekommen:
	        
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