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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1894 / 7)

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Schriftzeichen zu Tage tritt. Wenn wir gänzlich davon absehen, wie weit 
die Sinologen unserer Zeit in der Lage sind, die Zeichen der chinesischen 
Schrift als bildmäßige Typen nachzuweisen, .so bedarf es bei dem un- 
befangenen Beschauer eines gewissen hingebenden Eingehens in die Sache. 
um die Beziehungen mancher Begriffe zu ihren graphisch hergestellten 
Repräsentanten, den einfachen oder auch zusammengesetzten chinesischen 
Schriftzeichen, ohne viele Erklärung zu erfassen. Zu den wsprechendstenu 
gehören etwa die Zeichen für wBaumw Ä (dreimal [in der Anordnung 
r, z] wiederholt: ü das Zeichen für den Begriff wWaldu gebend); für 
vWagenu: m; für uFleischi-t w, welches unschwer die Andeutung 
eines auf einem Holzrahmen aufgehängten Thierkörpers erkennen lässt; für 
IBCfgu: w; ilir nKlndu: q- (einer kleinen aufrecht stehenden Puppe), etc. 
Das Bildmäßige im Schriftwesen kommt auch dann noch zur Gel- 
tung, wenn die wichtige Thatsache vollzogen ist und an Stelle der Figuren 
zur Versinnlichung zahlloser Begriffe die graphische Bezeichnung der 
Sprachlaute tritt. Doch soll dieses Gebiet hier nicht weiter berührt werden. 
Weit wichtiger erscheinen nunmehr die Betrachtungen der zeichnerischen 
Thätigkeit, welche uneingeengt durch die praktische Nothwendigkeit, zu 
conservativem Beharren nicht gezwungen ist. 
Der bildschöpferische Mensch, sobald er dem Impulse folgt, das 
wiederzugeben, was in seiner Erinnerung haften geblieben ist, schafft 
ohne Bedenken. Die Ursachen größerer oder geringerer Befriedigung, 
welche ihm seine Arbeit bringt, sind ihm völlig unbekannt. lhn "plagen 
weder Scrupel noch Zweifelu. Vielleicht dauert es Aeonen, bis letzterer 
sich einstellt als des Wissens Anfang. Schrittweise gelangt der Auslibende 
zur Selbstkritik und ein neues Zeitalter der Kunst beginnt. Es beginnt 
in dem Augenblicke, als sich die Fähigkeit bemerkbar macht, die Ein- 
zelnheiten der Erscheinungen der Außenwelt zu beobachten und die 
Einzelnheiten der bildlichen Darstellung auf ihre Richtigkeit zu prüfen. 
Wenn die bekannte griechische Sage von der Tochter des Dibutades, 
welche das Bild ihres Geliebten durch UmreiBen seines Schattens fest- 
zuhalten unternahm und so zur Erfinderin des Zeichnens ward, thata 
sächlich von Jemandem ernst genommen werden sollte, so zerfällt gewiss 
der Glaube an die Richtigkeit, ja an die Möglichkeit dieser gewiss 
poetischen Anekdote sofort, wenn zu erwägen gegeben wird, dass das 
Verständniss für eine individualisirende Darstellung, wie es ein porträt- 
mäßiger Schattenumriss ist, keineswegs der Anfangsperiode einer Kunst, 
sondern der Zeit eines schon hochentwickelten Formensinnes entspricht. 
Die Herstellung eines Umrisses an und für sich erfordert schon eine 
besondere Art von Abstractionsvermögen, welche schlechterdings, trotz 
mehrfach überlieferter Aussprüche des Gegentheils, einer Erstlings- 
periode der Kunst nicht zukommt. Am leichtesten begriffen wird 
stets die volle sich dem Blicke darbietende Masse einer Figur -- die Sil-
	        
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