Es erübrigt noch die Frage: Was wurde auf jenem, zwischen dem
6. und 4. Jahrhundert in Griechenland in Gebrauch gestandenen Web-
stuhl gefertigt? Die Antwort haben wir wiederum nur aus den gegebenen
Abbildungen zu schöpfen. Der böotische Stuhl zeigt anscheinend ein
glattes, ungernustertes Gewebe. Dass dasselbe nothwendig ein gobelin-
artiges, nicht leinwandbindiges Gewebe gewesen sein müsse, wie von
einer Seite behauptet wurde, ist nachdrücklich zu verneinen. Die Rips-
bindung (die ja das Wesen des "Gobelini- ausmacht), hängt nicht von
der Beschaffenheit des Stuhles ab, sondern von dem Verhältniss der Dich-
tigkeit von Kette und Schuss. So wie man Gobelins auf dem wagrechten
Stuhle macht (Basse-lisse-Tapisserie), ebenso kann man Leinwand auf
dem aufrechten weben und hat dies im Alterthum auch gethan.
Was dagegen den Webstuhl der Penelope anbetrifft, so gewahren
wir auf demselben geflügelte Thier- und Menschenfiguren dargestellt.
In diesem Falle haben wir es bestimmt mit gobelinartiger Bild-
wirkerei zu thun, was schon durch die vorauszusetzende Buntfarbigkeit
der Thierftguren bedingt ist, an denen die andersfarbige Kette nicht zum
Vorschein kommen durfte; dies war aber nur dann zu vermeiden, wenn
die Kette vom Schuss vollständig gedeckt wurde, was eben wieder nur
durch die Ripsbindung zu erzielen war. Den empirischen Nachweis für
dieses Sachverhältniss besitzen wir übrigens schon seit zehn Jahren in
den ägyptischen Textilfunden aus spätantiker Zeit, die uns in der aus-
giebigsten Weise darüber belehrt haben, dass die Bildwirkerei bei den
Alten in der Verzierung der Gewänder und in der Textilkunst überhaupt
die maßgebendste Rolle gespielt hat.
Hinsichtlich des Webstuhls, den die Hellenen im 5. Jahrhundert
v. Chr. gebraucht haben, erscheint mir der Sachverhalt nunmehr völlig
in's Klare gebracht. Es wiederholt sich auch auf diesem Gebiete die Er-
scheinung, dass uns eben nur aus dem beschränkten Zeitraum von etwa
50 Jahren, in denen sich allerdings ein überaus reiches Schaden auf
allen Gebieten des griechischen Lebens entfaltete, aus der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts Denkmäler zur Beurtheilung vorliegen. Für die Auf-
klärung dessen, was späterhin gefolgt ist, besitzen wir bisher kein voll-
werthiges Zeugniss, denn mit der flüchtigen Skizze im vaticanischen
Virgil lässt sich nicht viel anfangen. _Immerhin darf man auf Grund der
vielbesprochenen Textilfunde, die uns die Gobelintechnik selbst am Aus-
gang der Antike noch als übermächtig und maßgebend erwiesen haben,
die Vermuthnng aussprechen, dass sich an dem Webstuhl, der uns in
zwei (bildlichen) Exemplaren aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
vorliegt, bis in die spätantike Zeit nichts Wesentliches geändert hat.
Erst die Verbreitung der Seiden-Kunstweberei scheint hierin eine gründ-
liche Aenderung im Gefolge geführt zu haben: das Resultat derselben
muss die endgiltige Verdrängung des aufrechten einschäftigen Webstuhls
durch den wagrechten mit zwei (und noch mehr) Schäften gewesen sein.