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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1893 / 3)

Auch für das Schachbrettmuster dürfte kaum Jemand den kosmischen 
Ursprung in Anspruch nehmen u. s. w. Wir wissen ferner, dass bei den 
einfachsten Bethätigungen des Nachbildungstriebes das vorhandene Urbild 
nur im Ganzen und Großen aufgefasst wird; dass die Fähigkeit der in's 
Einzelne gehenden Betrachtung sich bei den Völkern sowohl als bei den 
lndividuen nur allmälig und langsam entwickelt. Auch dieser Umstand 
spricht dafür, dass wir es nur als Zufälligkeit zu betrachten haben, wenn 
einzelne der primitiven Ornamentmotive mitunter eine entfernte Aehn- 
lichkeit mit den feinen Detailformen gewisser Naturproducte aufweisen. 
Hingegen finden wir manches einfache, von der Natur geborene, in den 
Zeiten späterer Kunstentwicklung von den Ornamentikern oft angewendete 
Motiv bei uralten Beispielen der Kunstbethätigung nicht vor, wie z. B. 
das so dankbare, aus regulären Sechsecken zusammengesetzte Bienen- 
zellenmuster. 
Was geht aus alledem hervor? 
Die Frage zu beantworten bietet keine Schwierigkeit. 
Dass den einfachsten Kundgebungen des Schönheitssinnes der 
Contact mit dem in der Natur Gebotenen fehlt; dass der auf primitiver 
Stufe stehende Bildner anderen Impulsen folgt als dem Triebe, die Er- 
scheinungen wiederzugeben, welche die Natur hervorbringt. An ihm 
bewahrheitet sich schon, was Goethe den Kunstschüler empfinden lässt: 
-Die Blätter sind zu colossal, 
Und ihre Schrift gar seltsam abbreviru 
Zwei Arten der Bethätigung menschlichen Intellects sind es. von 
denen jeder Versuch einer Kunstübung ausgeht. Diese beiden Arten der 
Bethätigung, deren allgemeine Bedeutung hier nicht näher betrachtet 
werden soll, heißen Auswahl und Anordnung. Wir sehen sie schon 
zum Ausdruck gebracht, wenn der prähistorische Mensch nur eine Anzahl 
ziemlich gleich großer Steine auf dem Erdboden aneinander reiht, um 
etwa auf diese Weise den Umkreis eines besonders wichtigen Ortes zu 
bezeichnen. Sie entspringen keineswegs der Willkür. Abgesehen von den 
Forderungen der Zweckmäßigkeit existiren noch andere zwingende Ur- 
sachen, welche das Zustandekommen jedweder menschlichen schöpfe- 
rischen Thätigkeit beeinflussen und regeln. Jede Thätigkeit, deren Zweck 
und Ziel dahin geht, Form und Farbe bildnerisch zu verwerthen, ist 
zunächst geregelt durch die Forderungen der Sinnesorgane, welche die 
Empfindungen alles Sichtbaren dem Bewusstsein übermitteln. Die Natur 
dieser Forderungen zu ergründen und festzustellen ist die Aufgabe einer, 
bei allem mächtigen Vordringen noch keineswegs im letzten Stadium der 
Entwicklung befindlichen Wissenschaft: der Physiologie in Bezug auf 
das sichtbare, durch menschliche Thätigkeit hervorgebrachte Schöne, 
oder mit einem kürzeren Ausdruck, der Kunstphysiologie. 
Das was nun bei den primitiven Ornamenten ausgewählt und ge- 
ordnet erscheint, zeigt sich zunächst unmittelbar den Ergebnissen ein-
	        
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