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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1893 / 3)

Wahl getroffen wird. Es ist gewiss begreiflich, wenn so oft auf das" 
Vogelei, auf eine ausgehöhlte Samenkapsel, auf eine kelchartige Blumen- 
krone u. dgl. als auf die Urbilder der Gefäßformen hingewiesen wird; oder 
auf eine gerade emporwachsende Pflanze als Type eines Candelabers. Aber 
für irgend ein, wenn auch noch so einfach gestaltetes tektonisches Gebilde, 
wie es etwa ein hölzernesiSitzmöbel oder ein Behälter in Kastenform ist, 
das Urbild in der Natur suchen zu wollen, scheint mir mehr als gewagt. 
Es wäre denn, dass wir nach dem Vorgehen echter nNaturalistenv, wie 
sie auch die Gegenwart mitunter zeitigt, etwa die Form des umgestürzten 
Baumstarnmes für das beste Muster einer Bank, des aufgerichteten hohlen 
aber für das Prototyp eines Möbels zur Bergung werthvoller Dinge gelten 
lassen wollten. Diese eben gemachten Bemerkungen mögen hiureicben. Es. 
wäre wohl zwecklos, Reihen von passenden Beispielen anzuführen. Eine 
kurze Umschau genügt ja, um jederzeit darzuthun, dass bei mannigfaltigen 
Erzeugnissen des menschlichen Kunstfleißes der Benützung vorhandener 
Naturformen geradezu ausgewichen werden muss, um die zweckent- 
sprechende und zugleich schöne Form zu finden. Man möge nicht ein- 
wenden, dass es sich bei der Benützung der vorhandenen Naturgebilde 
ja nicht blos um die Herstellung der Grundformen der zu schaffenden Ob- 
jecte, sondern, vielleicht sogar hauptsächlich, um die schmückende Zuthat, 
um das Ornament als solches handle! - Die zweckmäßig und schön 
geschaffene Form steht in so unzertrennlichem Contacte mit dem" was ihr als 
Schmuck noch beigegeben werden mag, dass dieser Schmuck, das Orna- 
ment, seines Wesens und seiner Bedeutung entkleidet ist, wenn wir ihn ab- 
strahirend für sich selbst betrachten wollen, so dass er ohne Rücksicht auf 
das zu Schmückende auch nicht zu schaffen ist. Ja es erweisen sich oft Form 
und Schmuck als völlig untrennbar, so dass Eines mit dem Anderen 
existirt und untergeht. Constructive und ornamentale Elemente gehen 
ineinander auf. Naheliegende Beispiele zeigen sich uns in Fülle; so in 
den Werken der Gothik, bei welchen wir überhaupt auch die günstigste 
Gelegenheit finden, völlig ldeelles und daneben, in bestem Einklange 
damit, der Natur Entnommenes, in liebevoller Wiedergabe Durchgeführtes 
zu betrachten. 
Die beste Bethätigung der Liebe zur Natur kommt aber" dabei 
sicherlich in der Weise zum Ausdruck, dass einerseits die stotflichen 
und technischen Mittel so verwendet werden, dass damit das relativ 
beste Resultat gesichert erscheint, dass aber auch andererseits vollendete 
Harmonie der schmückenden Formen unter sich und in Beziehung zum 
Geschmückten zum Ausdrucke kommt. Ohne diese Bedingungen zur 
Geltung zu bringen, gelingt es nicht, den.Schatz der Naturformen zu 
heben und aus seinem unerschöpflichen Reichthum Nutzen zu ziehen. 
Diesem Ausspruche mag mit dem gewichtig scheinenden Hinweis 
auf Japans herrliche decorative Kunst entgegengetreten werden. - Die 
Japaner gelten ja als die entschiedensten Naturalisten. Der einfache Hin- 
Jahrg. 1893. 22
	        
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