MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 151)

	            		
41 Renate Schostack Auf der Suche nach dem yerlorenen Paradies. -Zur Asthetik englischer Gärten Die Engländer haben weder die Rornanik noch die Gotik noch den Klassizismus erfunden, sie haben diese Baustile, wie die Kathedralen und Schlösser, die Bürgerhöuser und Stadtanlagen zeigen, verändert, ihrem Geschmack anverwan- delt. Diese „Englishness" der englischen Kunst, wie es der bedeutende Registratar der engli- schen Baudenkmäler, Nikolaus Pevsnerl genannt hat, ist von hohem Reiz, sie macht iedoch deut- lich, daß sich die visuelle Ausdruckskraft der Eng- Iönder bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mit Adaptionen europäischer Architekturerfindungen begnügte. Wie kommt es nun, daß in der Mitte des 18. Jahrhunderts der eigene, spezifisch englische Beitrag zur Kunst der Welt plötzlich da ist: der englische Garten? Die Engländer haben die Gartenkunst nicht erfunden, sie haben sie aber zur höchsten Vollendung gebracht. Auch in England wurden die ersten Gärten von den Römern eingeführt, die ihre Villen damit um- gaben. Die Angelsachsen des Mittelalters hat- ten Wein- und Obstgärten, die Kräutergörtlein der Klöster dienten medizinischen und kulina- rischen Zwecken. Von Gartenkunst kann man iedoch erst seit der Renaissance sprechen. Das beste überlebende Beispiel ist der im fran- zösischen Stil angelegte Garten von Schloß Hampton Court außerhalb von London. Aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, daß er ein Wald von Pyramiden, Brunnen, Stein- und Metallfiguren war, ein Park, in dem sich das prunkvolle Schloßinterieur nach draußen fort- setzte. Die Gartenstile wechselten in England mit den Herrscherdynastien. Auf den Tudarstil von Hampton Court folgt der italienisierende Stuortstil, der am besten im Garten von Bicton in Devon überliefert wird. Mit Wilhelm von Oranien macht sich der holländische Einfluß bemerkbar. Die Frage, ob Gärten Kunstwerke oder bloß angewandte Kunst, also Kunsthandwerk seien, wurde von Gartentheoretikern und -historikern seit dem 18. Jahrhundert immer wieder disku- tiert. Der große Gartenkünstler Humphrey Repton erklärte in seinen „Fragmenten über die Theorie und Praxis des Landschaftsgartens" den Garten - im Unterschied zur umgebenden Landschaft - zum Kunstwerk. „Zur ersten", schrieb er, „ge- hören Wiesen, Wälder, Wasser und Aussicht; diese können durch Nachahmung der Natur verbessert werden, aber Gärten sind ein Werk der Kunstf". Ähnlich Horace Walpole in seinem Essay „Über die moderne Gartenkunst", in dem Ideen Winckelmanns wie zum Beispiel der Begriff der edlen Einfalt auf die Landschafts- görtnerei übertragen werden". Schiller schrieb dagegen in einer Rezension des „Gartenkalenders auf das Jahr 1795", es sei schwer, „der ästhetischen Gartenkunst ihren Platz unter den schönen Künsten anzuweisenf" Er sieht ihre Affinität zur Architektur (nicht Malerei wie die Engländer) und Poesie, vertritt ober die Ansicht, sie dürfe sich nicht in die hohen Sphären der Kunst versteigert. ln einer Charak- terisierung des Hahenheimer Landschaftsgartens, der auf englische Vorbilder zurückging, kommt er seinem literarischen ldyllenbegriff nahe, wenn er ihn als „eine mit Geist beseelte und durch Kunst exaltierte Natur" bezeichnets. Schillers Vorstellung von einer verbesserten Na- tur war Allgemeingut des idealistischen Denkens, wie es var allem der englische Neoplataniker Shaftesbury formuliert hatte. Sein Ideal, eine die göttliche Ordnung widerstrahlende Natur, welche die Künstler nachzuahmen hätten, er- innert in den Beschreibungen der „Characte- ristics" dann freilich oft fatal an die drama- tisierten präromantischen Landschaftskompositio- nen eines Salvator Rosa und seiner weniger begabten Nachahmer. Da wird dem von Regeln beherrschten französischen Gartenideal „der Fürsten", wie oft hinzugefügt wird, die „freie" Natur entgegengehalten mit ihren „rauhen Fel- sen, moosigen Höhlen, regellosen, natürlichen Grotten und in Stufen abfallenden Wasserfäl- 1 Die berühmteste Gartenansicht Englands: Das Fantheon und die Brücke im Stil des Palladio im Garten von Stourhead. Die Bepflanzung der Ufer mit Rhodadendren, von „Gartenpuristen" beklagt, stammt aus dem 19. Jahrhundert, eben- so die exotischen Bäume 2 Hidcote Manor Gardens, Gloucestershire. Be- rühmt sind die beschnittenen Hecken der klas- sischen Partien des Gartens aus Eibe, Stechlaub und vor allem Rotbuche Anmerkungen 1-8 l Nikolaus Pevsner: The English Art, London 1'756. 1 Humphrey Repton: Fragments on the Theory and Practise of Landscape Gardenin , including some remarks an Grecian and Gothic Ar: itecture, collected fram variaus Manuscripts..., the whole tending to establish fixed Principles in the respectice Arts", London 17'744; zit, nach der Ausgabe von 1816, p. 65. "Bezeichnenderweise heißt es beim aristokratischen Welt- mann Walpale im Gegensatz zum bürgerlichen ldealisten Winckelmann „elegant sim licity" (Essay an Modern Gar- dening, London 1771, p. B1 . ' Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, München a. J., Wink- ler-Verlug, Bd. V, p. 709. 5A. a. O., p. 713. tAnthony Earl of Shaftesbury, Characteristics, uazaan, au. II. 11.39:. 7A. a. 0., p. 57. 'Zit. nach Edward Hyams: The English Garden, London 1966, P. 59. Englishness of len", die die „schreckliche Herrlichkeit der Wild- nis" besäßeni Shaftesburys Theorien wurden von William Kent, dem Schöpfer des englischen Landschaftsgartens und Erfinder der drei goldenen Regeln dieser Parks (gewundene Linien, überraschende Aus- blicke, Einbeziehung der umgebenden Landschaft mittels unsichtbarer, grabenähnlicher Begrenzun- gen), in die Tat umgesetzt, und zwar mit allen bei Shaftesbury vorgezeichneten Übertreibungen, wie etwa dem Anpflanzen obgestorbener und dadurch „pittoresker" Bäume. Die Zeitgenossen sahen darin jedoch den großen „Kunstmaler". Hier wurde die tödliche französische Geometrie aufgehoben, symmetrische Wasserflächen durch Seen von unregelmäßiger Form ersetzt, statt gerader Wege wurden gewundene Pfade ange- legt, Garten und Umgebung sollten eine Einheit bilden, deren Vorbild die idealisierte Landschaft der römischen Campagna war. „Kent", schrieb Walpole in dem zitierten Essay, „übersprang den Zaun und sah, daß die ganze Natur ein Garten war... Die großen Prinzipien, nach denen er arbeitete, waren Perspektive, Licht und Schatten... Damit verwirklichte er die Kompo- sitionen der größten Meister der Malerei'." Tatsächlich verbindet Kent die visuelle Sensibili- tät des Künstlers - er war Maler - mit den Vorstellungen der Philosophie und Literatur. Denn der englische Garten war längst vor seiner Verwirklichung von Literaten und Philosophen in ästhetischen Überlegungen vorweggenommen, und er war von Anfang an mit der ldee der Wiederherstellung des Paradieses in Zusammen- hang gebracht worden. Der Garten-Essay des elisabethanischen Philo- sophen Francis Bacon von 1597 beginnt mit dem Satz: „Gott der Allmächtige pflanzte als erster einen Garten, und dies zu tun, ist in der Tat eines der reinsten Vergnügen des Menschen." Bacon verteidigte allerdings, wenn er auch vor gewissen Übertreibungen warnte, den zeitge- nössischen Gartenstil der Renaissance. Gegen diese geometrischen, durch Gartenarchitekturen und beschnittenes Baum- und Buschwerk charak- terisierten Gärten schrieben Schriftsteller wie Alexander Pope, Addison und Steele ihre Attacken. Die englischen Aufklärer verkündeten iedoch kein bloßes „Retour a la nature", san- dern eine praktische Verbesserung der Natur. Ästhetische Theorien der Malerei und Dichtung wurden dabei mitberücksichtigt, wie etwa ein Traktat des ltalieners Bellori „Eine Parallele von Poesie und Malerei", die von dem Dichter Dryden ins Englische übersetzt wurde. Darin heißt es, es gehe darum, „den göttlichen Schöpfer nachzuahmen, sich ein Modell der höheren Schönheit anzueignen, die gemeine Na- tur zu verbessern und zu verschönern und so darzustellen, wie sie zuerst geschaffen worden war." Am nachhaltigsten wirkte sich ein Werk der Literatur aus, nämlich Miltons „Verlorenes Paradies" (1667). Dieses letzte große europäische Epos, dessen Wirkung bis hin zur Vossschen Homer-Übertragung und den Gartenschilderun- gen in Goethes „Hermann und Dorathea" reich- te, nahm hundert Jahre vor seiner Verwirklichung den englischen Landschaftsgarten vorweg. Milton 29
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.