übertragen? Und für diese Annahme besitzen wir sogar ein sehr triftiges
Beweisstück in einem Teppichfragment, das spätestens im 12. Jahrh.
entstanden, gegenwärtig in Christiania verwahrt wird, und dessen Dar-
stellungeninikonographischer Beziehung auf Frankreich hinweisen, während
im Beiwerk überraschender Weise in den meisten Einzelheiten die engste
Verwandtschaft mit den ägyptischen Wirkereifunden zu Tage tritt.
Das Gesagte gilt von der vorgeschrittenen Figurenwirkerei. Was aber
die Technik in ihrem primitiven Entwickelungsstadium anbelangt, so ist
dieselbe in gewissen Gegenden Europa's, soweit wir diese Dinge zurück
zu verfolgen vermögen, allezeit bis aufunsere Tage einheimisch gewesen,
und zwar selbst in solchen Gebieten, wo eine unmittelbare Einführung
derselben aus dem Orient so gut wie ausgeschlossen erscheint. Wenn
man nämlich die Existenz der Wirkerei bei den Südslaven durch die
türkische Eroberung erklären will, so liegen dafür wenigstens scheinbare
äußere Anhaltspunkte vor. Minder stichhältig ist diese Erklärung schon
bei den nordslavischen Ruthenen, vollends unzutreHend wird sie aber
bei den Scandinaviern. Wenn wir somit auf der Balkanhalbinsel, in _der
sarmatiscben Tiefebene, in Scandinavien, ja selbst bei Macerata in
Mittelitalien die primitive Teppichwirkerei von altersher bis in unser
Jahrhundert in Uebung sehen, werden wir in diesen ihren Aeußerungen
nicht die rudimentären Ueberbleibsel einer ehemals hochentwickelten
und weitverbreiteten Kunstübung zu erblicken haben, die sich etwa in
spätantiker und frühmittelalterlicher Zeit über den größten Theil von
Europa erstreckte?
Als schmale Dorsalstreifen von überwiegender Breitenausdehnung
gegenüber der Höhe, wie jener Teppich aus Christiania und die etwas
jüngeren von Halberstadt und Quedlinburg, treten uns auch die de utsc hen
Rücklaken auf der Museums-Ausstellung entgegen. Der älteste darunter
dürfte ein mit Thierbildern geschmückter Behang (Dr. Figdor) sein, der
sich ehemals im Neustifte bei Brixen befunden hatte. Eine Datirung des-
selben in's 14., wo nicht in's 13. Jahrh. rechtfertigt sich nicht so sehr
aus den dargestellten Bestien, denn dieses Genre währt bis in das
16. Jahrh. hinein, so lange überhaupt die conventionellen Typen der
Gothik nicht vollständig durch die Renaissance verdrängt waren,
sondern aus der Bordüre, deren Wellenranke nicht im gleichmäßigen
Fluss der Renaissance-Rankeneinfassungen, sondern in rhytmischen Ab-
sätzen verläuft, deren einzelne untereinander durch Bandklammern ver-
bunden erscheinen.
Die Fabelthiere spielen auch in einer anderen, der gothischen Zeit
besonders eigenthümlichen Gruppe von Rücklaken eine große Rolle, wo
sie nämlich mit den wilden Männern in Verbindung gebracht werden.
So erscheinen auf einem Teppich aus Straßburg in Kärnten (Bisthum
Gurk) drei Bestien und ein Einhorn von je einer jugendlichen Figur in
der zotteligen Hülle der Waldmenschen gebändigt und geführt; auf einem