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ausgestaltete Vertiefung des inneren Theiles der Patene ist für Hildesheim
keine Seltenheit. Die Darstellung der Maiestas Domini, welche die fünf
Wundmale zeigt, ist für das n. Jahrhundert nicht auffallend, findet: sich
beispielsweise auch am Kreuze der Gunhildis in Kopenhagen. Der Gedanke,
dass die Maiestas Domini die vier Evangelistenbilder (d. h. die vier Wesen
der Ezechielischen Cherubsgestalten) umgeben, ist ebenfalls nichts, was
dem heil. Bernwardus nicht zugeschrieben werden könnte; liegt ja doch
die biblische Grundlage dieser Darstellungen nahe genug: es ist das
4. Capitel der Apokalypse. - Ueber diese Schilderung tritt unsere
Patena noch hinaus, denn ihre Zeichnung gibt dem thronenden Erlöser noch
überdies die vier Cardinaltugenden als Thronassistenten. Diese erscheinen
in den Karolingischen Bibeln als Begleiterinnen zunächst irdischer Per-
sonen: in der Viviansbibel (845-850) auf einem Davidsbilde; in der
Ada-Handschrift in der Umgebung Karls III.; im Sacramentar von
Autun (ca. 845 in Tours entstanden); in dem des Abtes Raganaldus, der
das Volk segnet, und noch 975 in dem von K. Aruulf nach S. Ernmeram
gebrachten Codex als Umgebung des Abtes Ramwold von S. Emmeram.
An unserer Patene ist Jesus Christus als der Urgrund dieser Tugenden, als
Herr und König aller Seligkeit dargestellt: oder, wenn man will, die durch
ihre Symbole vertretenen vier Evangelisten verkünden sein Wort als Lehr e,
die Cardinaltugenden sind die Früchte, die diese Predigt tragen soll.
Wenn die vier Cardinaltugenden gar keine sie kennzeichnenden Symbole
haben, sondern nur durch lnschriften erkennbar sind, so muss erwähnt
werden, dass auch an einem Tragaltar im Natiunalmuseum in München,
der aus einer dem S. Bernwardus naheliegenden Zeit stammt, dieselbe
mangelhafte Art der Symbolisirung sich findet; dann ist zu erwägen,
dass vielleicht noch kein mit Miniaturen geschmiicktes Exemplar der
Psychomachia von Prudentius, des Kampfes der Tugenden mit den Lastern,
in sächsischen Landen bekannt war; ferner ist zu erwägen, dass selbst
wenn S. Bernwardus oder der Zeichner der Patene einen oder den andern
der aus karolingischer Zeit stammenden Codices mit den wohl symbolisirten
vier Cardinaltugenden gekannt hat (man sehe beispielsweise die Abbildung
-der Fortitudo aus dem Sacramentarium von Autun, bei Janitschek, Ge-
schichte der deutschen Malerei, S.'5l.), er diese Beigabe der Kennzeichen
schon deshalb nicht durchführen konnte, weil die Enge des Raumes
eine solche widerräth. Zwei Gründe aber, welche für S. Bernwardus als den
Urheber der Patene sprechen, sind r. die constaute Tradition vom Dome
zu Braunschweig, welche ihren Ausdruck darin fand, dass die Patene
daselbst als Reliquie behandelt und in einer Monstranze als Reliquie
dem Volke zur Verehrung ausgestellt wurde, und welche in einem dem
14. Jahrhunderte entstammenden Inschriftstreifen ihre schriftliche Fixirung
erfuhr, und z. die Thatsache, dass an der S. Godehardskirche in Hildes-
heim eine Patene gezeigt wird, welche genau denselben vertieften Acht-
pass im Innern des Tellers, dieselbe Christusfigur und genau dieselbe