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Fortschritt zu verzeichnen sein wird. Wird doch bis dahin das neue
Museum am Joanneum längst eröffnet sein und die vielen alten Kunst-
erzeugnisse heimischen Fleißes, welche heute noch in Magazinen ver-
schlossen sind, werden schon eine gute Weile der Benützung durch die
lndustrie gedient haben.
Die Beziehungen der orientalischen Teppichfabri-
cation zu dem europäischen Abendlande ').
Von Alois Riegl.
Unter den Mitteln, mit denen die moderne kunstgewerbliche Reform
in's Werk gesetzt und, soweit sich dies heute schon sagen lässt, durch-
geführt wurde, zählen die orientalischen Teppiche zu den wesentlichsten
und wirkungsvollsten. Diese ihre Bedeutung verdanken sie vornehmlich
zwei Vorzügen, die man gerade im europäischen Kunstgewerbe um die
Mitte unseres Jahrhunderts ganz besonders vermisste: für's Erste der
harmonischen Farbengebung, für's Zweite der neutralen Musterung in
Flachornamenten, wie sie eben dem Begrilfe _eines Teppichs als einer
Decke in stilistischer Beziehung entsprechend sind. In Bezug auf die
Farbe datirte das Zurückstehen der europäischen Textilproduction gegen-
über der orientalischen erst aus neuester Zeit. Dieses Zurückstehen war
nämlich nicht so sehr in einer allgemeinen Corruption des ästhetischen
Farbensinnes begründet, sondern vielmehr eine unvermeidliche Folge der
Revolution, die sich im Laufe der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in
Folge der neuen Entdeckungen der Chemie und des damit zusammen-
hängenden fabriksmäßigen Betriebes auf dem Gebiete der Farbenbereitung
vollzogen hatte. Der neugewonnenen chemisch reinen Farben wusste man
in künstlerischer Beziehung nicht so bald Herr zu werden; ihre Ton-
werthe hatten gegenüber denjenigen der von altersher gebrauchten, aus
organischen Stoffen, zumeist aus Pflanzen bereiteten Farben eine Ver-
rückung erfahren, deren Ausgleichung nur sehr allmälig sich vollziehen
konnte und auch heute noch nicht in vollkommen befriedigender Weise
vollzogen ist. Die orientalische Teppichproduction hielt dagegen zunächst
fortdauernd an der ererbten Art und Weise der Farbenbereitung aus
organischen Stoffen fest, deren Verwerthung in ästhetischem Sinne sie
in Folge der Jahrhunderte, ja Jahrtausende langen Uebung vollkommen
beherrschte. Wenn nun die Mängel der europäischen Textilproduction
unseres Jahrhunderts vor dem Eingreifen der kunstgewerblichen Reform
in Bezug auf die Farbe mehr aus dem plötzlichen Dazwischenkommen
eines äußeren Factors zu erklären sind, so lassen sich dagegen die Mängel
') Unter Benmzung eines am 14. October 1889 im Oesxerr. Museum gehaltenen
Vortrages über lOriennlische Teppicheu.