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in der ornamentalen Ausstattung rücksichtlich ihres Entstehens und ihres
Anwachsens in weit frühere Zeit zurückverfolgen.
Schon seit dem t6. Jahrhundert kann man in der Entwickelung der
europäischen Kunstverhältnisse ein zunehmendes Zurücktreten des Flach-
ornaments beobachten. Ein Grund zur Erklärung dieser Erscheinung,
von dem zwar nicht behauptet sein soll, dass er der einzige ist, der aber
ohne Zweifel als ein Hauptgrund gelten darf, liegt in jener schranken-
losen Schmuckfreudigkeit, die im Gefolge der Renaissance in die euro-
päische Kunst eingezogen war. Um diese Schmuckfreudigkeit zu be-
friedigen, bedurfte es eines so reichen Sammelvorraths an Ornamenten,
wie ihn weder die unmittelbare Vorgängerin der Renaissance - die
Gothik - noch die Antike oder die romanische Kunst gekannt hatten
und zu bieten wussten. Den gewaltigen Anforderungen, die man in dieser
Beziehung im 15. und 16. Jahrhundert, wie an alle übrigen Künste, so
auch an die Textilkunst stellte, vermochte die im Mittelalter stilführende
textile Technik - d. i. die Seidenkunstweberei - nicht mehr gerecht zu
werden. Dies vermochte überhaupt nur eine Technik, die Stickerei, deren
Werkzeug - die Nadel - sich mit jener Freiheit über eine textile Fläche
zu bewegen vermag, um darauf die beliebigsten Configurationen hervor-
zubringen. Zwar wusste man in der Antike, wie die sogenannten GraPschen
Funde erwiesen haben, mittelst der Wirkerei oder Gobelintechnik selbst
textile Gemälde herzustellen, die gleichwohl durch den Charakter der
Cotuposition, der Raumausfüllung, der Bordirung und Umsäumung ihre
rein ornamentale Bestimmung innerhalb der Fläche dem Beschauer
deutlich zu Bewusstsein brachten. Wo sich unter jenen ägyptischen
Funden aus spätantiker Zeit wirkliche Stickereien fanden, da verrathen
sie sichtlich das Bestreben, ein Relief auf der Fläche hervorzubringen,
wogegen die gewirkten Borten und Einsätze vollkommen flach in die
ausgesparten Kettfäden eingearbeitet erscheinen. Mit dem Aufkommen
der Seidenkunstweberei wird die zeitraubende Technik der Wirkerei im
Mittelalter immer mehr auf die Herstellung von Wandbehängen, den
später sogenannten Gobelins, beschränkt, und eine Wiederbelebung der-
selben zur Herstellung textiler Gebrauchsgegenstände in der Weise der
Antike war im Europa des 15. oder t6. Jahrhunderts schon aus wirth-
schaftlichen Gründen ganz unmöglich geworden. Während es nämlich
allerorten nach Arbeitstheilung, Zunft- und in der Folge Großbetrieb,
nach Verbesserung der Werkzeuge und Abkürzung der Arbeitszeit durch
Einführung mechanischer Hilfsmittel drängte, durfte man nicht mehr
daran denken, zu einer primitiven Technik zurückzukehren. die sich
nothgedrungener Weise auf bloßen Handbetrieb beschränken muss. Ist
man doch selbst heutzutage, nach all' den Errungenschaften der modernen
Technik, in der Gobelinfabrication über die Handarbeit nicht hinaus-
gekommen. Um also den neugewonnenen Ornamentenreichthum der Re-
naissance in die Textilkunst zu übertragen, musste man nach der Stickerei
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