davor zurückscheute, einen Zweig der orientalischen Textilkunst ganz
unmittelbar sowohl in der Technik als in der Ornamentik auf den
eigenen Boden herüberzunehmen, das beweist schlagend die Einführung
der saracenischen Seidenkunstweberei in Italien im 13. und 14. Jahr-
hundert. - Warum sollte man dasjenige, was man mit der schwierigeren
Technik der Seidenweberei zu Stande brachte, nicht auch mit der, wie
wir sehen werden, höchst primitiven Technik der orientalischen Teppich-
erzeugung unternehmen? Dass man es dennoch nicht that, kann daher
aus einer Scheu vor der fremdartigen Technik und Ornamentik nicht
erklärt werden. Es bleibt somit nur die andere Annahme übrig, dass
man die orientalische Teppicherzeugung nicht übernehmen konnte. Die
entgegenstehenden Schwierigkeiten waren aber gewiss nicht rein tech-
nischer Natur, denn die Technik war eben eine höchst primitive. Man
hat daher jene Schwierigkeiten in gewissen secundären Dingen gesucht,
die ja einige Bedeutung für die Erklärung der Langlebigkeit der in Rede
stehenden Kunstübung im Oriente haben mögen, aber den Ausschluss
dieser letzteren aus der europäischen Fabrication ebensowenig erklären,
als umgekehrt die unveränderte Vorliebe der Europäer aller Zeiten für
die orientalischen Teppiche. S0 hat man gesagt, im Oriente herrschte
von uralten Zeiten her ein größeres Bedürfniss nach Wand- und nament-
lich an Fußteppichen, als im Abendlande. Man sollte aber doch denken,
dass in einem großen Theile Europa's mit Rücksicht auf die klimatischen
Verhältnisse jenes Bedürfniss mindestens ein ebenso großes gewesen wäre.
Auch die Möglichkeit einer leichteren Beschaffung des Rohstoifes soll der
orientalischen Teppichproduction Vorschub geleistet haben; aber an Wolle
und später auch an Seide hat es im Abendlande keinesvvlegs gemangelt,
abgesehen davon, dass ein solcher Mangel an RohstotTen schon im Alter-
thum nachweislich in umfassendster Weise durch den Handel Abhilfe
gefunden hat. ,
Die Schwierigkeiten, die sich der Einführung der orientalischen
Teppicherzeugung in die Culturländer des Westens entgegenstellten,
müssen also nach anderer Seite hin gelegen sein. Um der eigentlichen
Quelle dieser Schwierigkeiten näher zu kommen, dürfte es sich em-
pfehlen, die heutigen deutlich sichtbaren Verhältnisse der orientalischen
Teppicherzeugung in's Auge zu fassen, und behufs Gewinnung von Rück-
schlüssen jene Umstände zu untersuchen, die das Prosperiren oder das
Zurückweichen der orientalischen Teppichindustrie heutzutage begünstigen
oder hintertreiben._ Es muss doch eine Analogie vorhanden sein zwischen
den Verhältnissen, die die alte Teppichindustrie im Oriente heutzutage
an bestimmten Punkten unmöglich machen, und jenen Ursachen, die sie
bisher allezeit verhindert haben, im europäischen Westen feste Wurzel
zu fassen.
Es wird bekanntlich von Jahr zu Jahr mehr geklagt über Ver-
schlechterung der aus dem Oriente einlangenden frisch erzeugten Tep-