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nEs ist eine Eigenthümlichkeit der Länder Vorderasiensl, sagt
A. v. Kremer'), v-dass sie wegen ihrer geographischen Gestalt alle
stark auf Viehzucht angewiesen sind. Sie gehören nämlich vorwiegend
der dürren Zone an, der Niederschlag ist gering, in Folge dessen sind
die Hochebenen nicht zum Ackerbau geeignet, und können mit Vortheil
nur zur Viehzucht verwendet werden . . . . Rindvieh wird Verhältniss-
mäßig vernachlässigt . . man betrieb daher mit Vorliebe die Zucht der
anderen Thiere: Schafe, Lämmer, Ziegen, Kameele, die alle reichlich
Wolle lieferten, welche man anfangs im Haushalte zu verarbeiten
pflegte. Aber später entstand in den meisten orientalischen Ländern eine
außerordentlich lebhafte Textilindustrie, wovon sich noch bis jetzt Manches
erhalten hat". Das Wörtchen später im letzten Satze wäre besser durch
daneben zu ersetzen, denn die Industrie geht immer parallel rnit einem po-
litischen und so'ciaIen Aufschwung; in Zeiten des Verfalls geht die städtische
Industrie zurück, während der Hausfleiß von den politischen Umwälzungen
unberührt bleibt, ja in Folge des Zurückweichens der städtischen Industrie
an Terrain gewinnt. Es darf auch hiebei nicht übersehen werden, dass
im Orient heutzutage weite Gebiete wüst liegen, die früher bis gegen
Ende des Mittelalters eine blühende Cultur und dichte Bevölkerung be-
saßen. Die hochentwickelte Industrie, die wir in diesen Ländern, z. B.
in Mesopotamien, im Mittelalter voraussetzen müssen, ist mit dem Verfall
der moharnrnedanischen Gesellschaft unter der Herrschaft der Osmanen
in den letzten Jahrhunderten Schritt für Schritt zurückgegangen und
vielfach ganz verschwunden, so dass an ihrer Stelle wieder Qdie primitive
Production des Hauslleißes sich einbürgern konnte.
Noch ein anderer, dem islamitischen Oriente eigenthümlicher Factor
muss für das Festhalten an der HausfIeiß-Production von größter Bedeutung
gewesen sein: die Institution der Sclaverei. Durch diese wurde nämlich
ganz besonders der Fortschritt zum gewerblichen Betriebe, zum Hand-
werk, zur Industrie verzögert. vln der ersten Zeit des Islams", um wieder
die Autorität A. v. KremerIs ") zu citiren, ngab es nur sehr wenige Hand-
werke, am wenigsten aber einen Handwerkstand; in dem arabischen
Haushalte jener Zeit ward Alles von Sclaven gearbeitet, die Kleidungs-
stücke wurden im Haushalte gewebt, zugeschnitten und genäht, das
Schneiderhandwerk betrieben gleichfalls die Sclavenm Freilich waren die
Ansprüche an den Luxus in anderen orientalischen Ländern schon damals
weit größere, und als die reich gewordenen Araber selbst die Reize einer
prunkvollen Umgebung schätzen gelernt hatten, da nahmen sie die bisher
von Christen. Juden und Persern geübten Kunsthandwerke für ihre eigenen
Zwecke in Gebrauch. So entstanden unter dem Khalifate jene Staats-
Manufacturen, deren Erzeugnisse durch die überschwenglichen Schilde-
') Culturgeschfchte des Orients,
") A. a. 0. ll, 184.
, 186.