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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1890 / 11)

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Kopfes, eines Armes etc. Auf der Reichenau nun herrscht unter den be- 
deutenderen Stücken des Schatzes die Sargforrn vor'). 
Heute besteht nur mehr ein Theil der ehemaligen reichen Schätze, 
aber man darf wohl sagen, glücklicher Weise der Hanpttheil mit den 
besten und interessantesten Stücken. 
Vielleicht das interessanteste Stück des Reichenauer Schatzes ist das 
im Pfarrhause in Oberzell aufbewahrte Reliquiar aus der romanischen 
Zeit. Dasselbe hat verhältnissmäßig sehr kleine Dimensionen: seine Länge 
beträgt o'i4, seine Breite o'o7 und seine Höhe bis zum beginnenden 
Satteldache o'o7 Meter. Das Satteldach bildetbei mittelmäßigem Anstieg den 
oberen Abschluss. Es ist die in der frühchristlichen, byzantinischen und 
frühromanischen Zeit mit Vorliebe verwendete Form, die bis zur karo- 
lingischen Epoche mit den Bezeichnungen arca, capsa belegt wurde. 
Diese Behälter wurden in der ersten Zeit der christlichen Zeitrechnung 
benützt, um theure Andenken aus den Ueberresten eines Verstorbenen 
einzuschließen. Gregor von Tours berichtet im vierten Buche, dass der 
Nachfolger des Kaisers Justinian, Justinus, einen solch' übertriebenen Geiz 
besass, uCLll tanta fuit cupiditas, ut arcas juberet fieri ferreas, in quas 
numismatis aurei talenta congereretu. Dieser weltliche Gebrauch ging 
dann auch in den kirchlichen über. So berichtet Gregor aus der Zeit, 
da er noch Bischof von Tonrs war, und die Kirche St. Martin recon- 
struirte, dass er in einem Steine eine silberne Cassette gefunden habe, 
welche Märtyrerreliquien enthielt. . . nEt inveni in hoc capsulam ar- 
genteam, in qua . . . (lib. X)". 
Die Form der gedachten Kästchen ist die gebräuchlichste Form für 
Reliquiare geworden; auch die meisten des Schatzes der Reichenau zeigen 
diese Grundform. In den Frlihzeiten des jungen Christenthums barg man 
die ganzen Leichname der Märtyrer in ähnlich geformten Särgen. Wann 
dies aber zuerst geschah, ist nicht festgestellt. Von den Römern war das 
Bergen der Märtyrerleichen in Sarkophagen überkommen, vor welchen sich 
dann in christlichen Zeiten der Altar erhob. Mit wenigen Ausnahmen 
jedoch, und besonders seit der karolingiscben Zeit schritt man dazu, die 
heiligen Leichen aus den festen Gräbern zu entnehmen und sie in leicht 
bewegliche Behälter zu bergen, welche bei der Ausbreitung des Christen- 
thums in den Wildnissen noch unerforschter und von der christlichen 
Cultur unbetretenen Gegenden die besten Dienste leisteten, und auch, 
da sie an Kostbarkeit beständig zunahmen und zu den vornehmsten 
Schätzen der Kirche gezählt wurden, leichter vor den kriegerischen Ein- 
fällen der Normannen geschützt werden konnten. Man darf also annehmen, 
') Ein ausführliches Verzeichniss des Schatzes von Reichenau aus dem 6. Jahr- 
hundert gibt Mone in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, lV, 2,50 f. Dasselbe 
entstammt der St. Pauier Handschrift aus der Reichenau, nach Mone aus dem 9., nach 
Kraus aus dem io. Jahrhundert. Ein späteres Verzeichniss von Wolfgang Amboss besitzt 
das General-Landesarchiv in Karlsruhe. 
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