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Auch in Philadelphia hat die deutsche Industrie auf diesem Gebiete eine
Niederlage erlitten; Professor F. Reuleaux hat die Situation, wie er sie in
Philadelphia vorfand, in seinen anregenden nBriefen über Philadelphiau
(Braunschweig 1877) mit klaren Worten geschildert. Aber die Misserfolge
in Wien und Philadelphia waren ein neuer Sporn zu erhöhter Thätigkeit auf
kunstgewerblichem Gebiete im ganzen deutschen Reiche. Von allen Seiten,
insbesondere von Deutschland wurde anerkannt, dass das Oesterreichische
Museum und seine Kunstgewerbeschule einen hervorragenden Antheil an
der kunstgewerblichen Bewegung in Oesterreich genommen haben und es
lag daher selbstverständlich nahe, dass man nun anfing, beinahe in ganz
Deutschland denselben Weg zu gehen, den Oesterreich schon im Jahre
1864 betreten hatte. Man war klug genug, nicht neue Experimente zu
machen, sondern das gegebene Beispiel nachzuahmen, d. h. mit Benützung
fremder Erfahrungen, verbunden mit der Wahrung der localen Interessen,
das gesteckte Ziel zu erreichen. Und so sehen wir in Folge dieser er-
höhten kunstgewerblichen Bewegung gegenwärtig in Deutschland eine Reihe
von Museen und Kunstgewerbeschulen entstehen oder in neuer Organi-
sation begrilfen. Hiezu gehören die Kunstgewerbeschule in München, das
kunstgewerbliche Museum und die Kunstgewerbeschule in Dresden, die
Kunstgewerbeschule in Leipzig und Nürnberg, das Hamburger Museum,
in gewisser Beziehung das Gewerbemuseum und die Kunstgewerbeschule
in Berlin. An die eben genannten Anstalten dürften sich in nächster Zeit
ein ähnliches Institut in Frankfurt und ein zweites am Rhein anschliessen.
Alle diese Anstalten verfolgen oder werden dieselben Zielpunkte verfolgen,
wie das Oesterr. Museum und werden auch früher oder später dieselben
Resultate erreichen. Sie stehen fast ausnahmslos auf dem Standpunkte der
modernen Renaissancerichtung; bei einigen wird mehr auf die italienische
Renaissance Rücksicht genommen, andere streben wieder mehr den Tra-
ditionen der deutschen Renaissance zu entsprechen, doch kann man
sagen, dass sämmtliche der gedachten Anstalten im Ganzen und Grossen
von Renaissance-Strömungen im eigentlichen Sinne des Wortes geleitet
werden. Allerdings ist diese Renaissance-Strömung vorläufig nur als
eine Zeitströmung zu betrachten. Denn sie berührt noch viele Zweige der
Kunst und Kunstgewerbe nur oberliächlich und zeigt sich mehr als Nach-
bildung und mehr oder minder geschickte Imitation, mit relativ geringer
selbstschöpferischer Kraft. Aber sie ist thatsächlich vorhanden, ist viel grösser
und intensiver in den kunstgewerblichen Museen und Kunstgewerbeschulen
Deutschlands, als in den Akademien der bildenden Künste des deutschen
Reiches, wo sich noch andere Stylströmungen und eine andere Geschmacks-
bildung bemerkbar machen. Nur am Rheine und in gewisser Beziehung
auch in Hannover werden mittelalterliche Kunstanschauungen in ver-
wandten Anstalten geptlegt. Bei allen diesen Instituten wird mehr oder
weniger auf den methodischen Zeichenunterricht grosses Gewicht gelegt.
Bei mehreren von ihnen ist auch die Ausbildung von Zeichenlehrern in's
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