Kontroverfe gebt das eine klar hervor, daß die Dresdener Aus*
ftellung als eine erzieberifcbe Veranftaltung allererften
Ranges wirkt. Sie läßt keinen ernften Befucber gleichgültig
von dannen ziehen, am allerwenigftens den ftrebfamen Kunft»
gewerbler. □
Es ift dies ein großes, ja das größte Verdienft, welches lieh die
Leiter der Husftellung erworben haben und wofür wir von
Herzen dankbar fein müffen. Sie ift ihrer Hufgabe: Die Wand«
lungen des Gefchmackes, die fich feit der leßten Husftellung im
Jahre 1888 vollzogen haben, febarf berauszubeben und den
weiteften Kreifen zum Bewußtfein zu bringen, voll und ganz
gerecht geworden. Durch die Hrt und Weife, wie fie das zu
Wege gebracht bat, find auch Fragen von prinzipieller Bedeutung,
fo u. a. diejenige: ob wir mit den feitber angewandten Mitteln
zur Förderung des Kunfthandwerkes, als das untere Schulen,
Mufeen und Vereine auf dem rechten Weg find, in den Vorder»
grund der Diskuffion getreten. Darin erblickte ich ein zweites
großes Verdienft der Husftellungsleitung. □
In dem Bemühen, ein Bild der derzeitigen künftlerifcben Kultur
Deutfcblands zu geben, war von vornherein die Notwendigkeit
gegeben, verfchiedene Wege zur Erreichung des Zieles zu be«
febreiten. So u. a. war man genötigt, außer dem Kunftband»
werk auch die Kunftinduftrie zum Wettkampfe einzuladen.
Man fühlte die Notwendigkeit, das Verhältnis zwifchen den Beiden
zu klären, bat es aber leider unterlaffen, die Grundfätje klar zu
legen, nach denen jeder Teil zu bewerten und zu beurteilen fei.
Kunftbandwerk und Kunftinduftrie find von ganz verfebiedenen
Gefichtspunkten aus zu beurteilen! Dem wurde bei der Zu»
fammenfeßung des Preisgerichtes keine oder doch nicht genügend
Rechnung getragen. Daraus find Unftimmigkeiten entftanden,
die dem Ganzen zum Nachteil gereichen. □
Man bat zwar die Kunftinduftrie für gleichberechtigt erklärt,
und fie zur Beteiligung aufgefordert, aber ihr die gebührende
Würdigung nicht zuteil werden laffen. Es war meines Erachtens
ein verhängnisvoller Fehler, fie bei der Bewertung ihrer Leiftun»
gen dem Preisgericht für das Kunftbandwerk kurzer Hand als
Hnhängfel zu überweifen. Hllerdings ift fie nur in befcheidenem
Maße in Dresden vertreten, woraus wiederum der Schluß ge
zogen werden kann, daß man zur Gewinnung derfelben nicht
den gleichen Eifer an den Tag gelegt hat, wie bei der Heran
ziehung der modernen Künftlerfcbaft, □
Man bat in der Hauptfache Künftler und Leiter von Schulen
und Mufeen, aber nur ausnahmsweife Induftrielle und Kunftband-
werker in das Preisgericht berufen. Es mußte unangenehm
auffallen, daß man ihr nicht diejenige Behandlung zuteil werden
ließ, welche fie ihrer wirtfcbaftlicben und kulturellen Bedeutung
nach zu beanfpruchen gehabt hätte. □
Diefe nebenfächliche Behandlung, in Verbindung mit der Tat
fache, daß auch in den anderen Gruppen, fo vornehmlich in dem
der »Raumkunft«, faft ausfcbließlich die Herren Künftler als Hus»
fteller auftraten, hat der Husftellung den Charakter eines ein»
feitigen Künftlertums aufgeprägt, das ihr nicht in allen Stücken
zum Vorteil gereicht und die Erreichung des großen Husftel»
lungszweckes ernftlicb in Frage ftellt. □
Es foll damit dem Preisgericht durchaus kein Vorwurf gemacht
werden! Im Gegenteil, ich kann nur dankend anerkennen, daß
z. B. in der Hbteilung für »Metall« der Vorfityende Dr. Koetfchau
eifrig beftrebt gewefen ift, der Kunftinduftrie alle Gerechtigkeit
widerfahren zu laffen. Durch die III. Deutfche Kunftgewerbe»
ausftellung follten doch die großen äftbetifchen Fragen, welche
das moderne Wirtfcbaftleben beberrfeben, berausgeboben und
das Verhältnis von Kunftbandwerk und Kunftinduftrie, die in
vielen Beziehungen verfchiedene Wege zu geben berufen find,
einer Klärung entgegengefübrt werden. Für die Löfung diefer
hochwichtigen Hufgabe mußte die auffallende Bevorzugung der
modernen Künftlerfcbaft in Verbindung mit der Zurückfe^ung der
Kunftbandwerker und Kunftinduftriellen auffallend, ja geradezu
verwirrend wirken. Bringt man damit noch diejenigen Vorfchläge
in Verbindung, welche von einem Mitgliede des »Husftellungs«
direktoriums über die Ziele der III. Deutfcben Kunftgewerbeaus-
ftellung« an die Öffentlichkeit gelangt find, fo ift die Beunruhigung
der kunftbandwerklicben Kreife, wie die Mißftimmung der Kunft
induftriellen ganz erklärlich. □
Pforzheim, 5. Huguft 1906 (gez.) WILHELM STÖFFLER
SCHLUSSWORT
ie unter dem Titel »Streitfragen im Kunftgewerbe« abge
druckten Zufcbriften bilden das Nacbfpiel zur Dresdener
Kunftgewerbeausftellung 1906 und find ein nicht ganz un»
intereffantes Kulturdokument als fpontane Kundgebung und als
Proteft gegen die Rückfcbrittstendenz zu verfteben, die fich in
einigen ohnmächtigen Verfuchen geltend machen wollte. Der
große Wuft von durchaus nicht immer belangreichen Meinungen
hätte vielleicht nicht diefen breiten Raum in der HOHEN WHRTE
beanfpruchen dürfen, der die Wichtigkeit der Äußerungen bei
weitem überfteigt. Denn diefe fogenannten Streitfragen find
eigentlich keine mehr. Die künftlerifcben Grundfäße des Ge
werbes und der Induftrie fteben feft. Sie find verbürgt durch
das Vorhandenfein von tüchtigen Künftlern, und kein Zetern
wird fie aus der Welt febaffen. Keinesfalls wird die Entwicklung
der angewandten Kunft von einer Handvoll von Gefcbäftsleuten
beftimmt. In der modernen Bewegung bandelt es fich nicht um
den gefcbäftlichen Fortfehritt einzelner Leute, es handelt fich viel
mehr um den Fortfchritt der Kultur, die allerdings in weiterer
Folge auch eine wirtfcbaftliche Tragweite befißt. Kunftaus-
ftellungen, und fomit auch jene von 1906, find keine Jahrmärkte,
fie haben nicht die Hufgabe, unmittelbar merkantile Erfolge zu
erzielen; fie haben die Hufgabe, künftlerifcbe Erfolge zu er
zielen und der qualifizierten Leiftung den Vorrang zu geben.
Huf folchen Husftellungen haben Gewerbe und Induftrie nur den
Rang, der der Leiftung zukommt, die fie ins Feld ftellen. Wenn
diefe Leiftung künftlerifch bedeutfam ift, wird fie fich an ge
bührender Stelle behaupten. Der Meinungsftreit, der übrigens
ganz belanglos ift, kommt aus der Verkennung der Tatfache,
daß diefe Husftellungen nicht gefchäftlichen Intereffen, fondern
der Hufklärung dienen und den Zweck haben, die Kulturinter-
effen der ganzen Nation zu fteigern. Der dauernde Erfolg, auch
in wirtfcbaftlicben Dingen, bängt nicht von der Praxis ab, die
Unkenntnis des Publikums auszunüßen, fondern von der Ten
denz, das Kulturniveau zu fteigern und gebildete Hnfprücbe zu
erziehen. Mit der Steigerung des allgemeinen Niveaus fteigt
jeder einzelne. Im Hinblick auf die vorhandenen feböpferifeben
Kräfte der Nation und im Hinblick auf die zahlreichen Betriebe,
die ihre flbfaßfäbigkeit durch die künftlerifche Qualitätsmarke
gefteigert haben und weiterhin zu heben im Begriffe find, kann
für niemanden ein Zweifel darüber fein, wie fich der ordnungs
mäßige Lauf der Dinge geftaltet. Ein Wort erübrigt über die
Lehrwerkftätten, die von dem größten Teil der Gewerbetreibenden
fcbeel angefeben wird. Solange die Praxis nicht dem Lehrling
die vollendete, allfeitige Husbildung zu geben vermag, die nach
dem Stand einer kultivierten Hnfchauung zu fordern ift, wird die
Schule helfen "müffen, fo unvollkommen diefe Hilfe auch fein mag.
D. RED.
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