.5)-
Übernatürlichen als solchen finden wir in der spanischen Plastik des
XVII. Jahrhunderts nicht in gleicher Weise angestrebt und erreicht wie bei
den Italienern und Deutschen der nämlichen Zeit. Der Bewegungsstil als
Interpret transzendentalen Geschehens tritt nicht mit gleicher Vehemenz
auf wie bei diesen. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, mögen nun
Schwanthalers Figuren in ihrem Verismus mit einer von Spanien in die
kirchliche Gegenreformationskultur eingeführten Kunstströmung ganz all-
gemein in Zusammenhang gebracht werden können, in ihrem eigenartigen
Transzendentalismus aber, insbesondere in der formalen Eigenart ihres
Bewegungsstils haben sie mit der spanischen Bildnerei des XVII. Jahr-
hunderts gewiß nichts zu tun.
Schwanthaler mußte die Anregung zu seinem eigenartigen Bewegungs-
stil unabhängig von italienischer, flämischer und spanischer Kunst gefunden
haben, und wenn wir nach Kunstwerken suchen, die seinem künstlerischen
Empfinden am nächsten stehen, so kommen wir zu den Schöpfungen der
spätestgotischen Kunst des zwei-
ten und dritten Jahrzehnts des
XVI. Jahrhunderts. Die Be-
hauptung erscheint für den er-
sten Augenblick paradox, doch
je mehr wir Werke dieser Zeit
zum Vergleich heranziehen,
desto enger werden die Zusam-
menhänge, und es kann kein
bloßer Zufall mehr sein, daß un-
ter allen spätestgotischen Skulp-
turendieSchöpfungendernieder-
bayrischen Schnitzerschule am
deutlichsten auf Schwanthaler
weisen, also gerade jene Werke,
die der Meister in seiner Heimat
täglich sehen und studieren
konnte. Die Charakteristik
des Schwanthalerschen Ge-
wandstils, die wir eben heraus-
zuarbeiten versuchten, deckt
sich vollkommen mit der Cha-
rakteristik des Faltenstils die-
ser niederbayrischen Schnitzer-
schule, deren Werke unter
anderen Philipp Maria Halmi in
4' Vgl. unter den vielen Publikationen
Halms etwa die Monographie über "Stephan
Abb. 25. Maria Plain, Wallfahrtskirche, St. Benedikt-Altar, Rottaler", München 1908, und die zahlreichen
St. Maurus Museumsberichle im „Münchner jahrbuch der