Was aber die beiden Fontänen vor allem auszeichnet, ist ihre schlichte
und antikisch-gesetzmäßige Form. Die Schmuckverbrärnung beschränkte
sich, wie wir sahen, auf die unentbehrlichsten Beigaben, die mit ihrem
Dienste als Wasserspeier sachgerecht dem Zwecke der Anlage sich fügten.
Sonst aber wird der Reiz der Brunnen nur durch die Schönheit der Formung
der Schalen und ihrer Stützen, nur_durch das Einhalten bestimmt normierter
Proportionen erzielt. Dazu kommt noch ein wichtiger Umstand: die Zweck-
mäßigkeit und die dekorative Aufgabe zur Verschönerung eines Platzes
halten sich die Wage; die Fontänen haben den Wert selbständiger Monu-
mente erlangt, unabhängig von der heilspendenden Funktion, die ihnen auf-
erlegt ist (vgl. als Vorläufer Niccola Pisanos Brunnen in Perugia usw.).
In Udine und zum größten Teile in den nördlichen Gegenden Italiens
lagen wohl nicht die Vorbedingungen vor, welche die Form des „isolierten
tektonischen Brunnens" - eine vonWölfflinf ausgesprochene Bezeichnung -
begründeten. Nur die Piazza d'Erbe in Verona - der Stadt des Arnphitheaters
und der Porta dei Borsari -- besitzt bereits seit dem Jahre I 368 in der von
der berühmten Statue der Madonna Verona bekrönten Fontäne ein solches
Schaustück, das zum Teil aber aus an-
tiken Bestandteilen zusammengestellt
ist. In der Regel aber hält man noch
im XVII. und XVIII. Jahrhundert an der
altehrwürdigen Form des Pozzo fest.
(Beispiele in Udine: am Kastellplateau,
im Hofe des erzbischöflichen Palastes
usw.) Ihre rechtmäßige Datierung wird
nur durch die Kartuschen der ange-
brachten Wappen oder durch den Wort-
laut einer Inschrift, allenfalls durch das
Aussehen des schmiedeeisernen Kra-
nes, der die zur Wasserschöpfung die-
nende Rolle hält, gewährleistet. Zumal
in diesen knapp an dem Fuße der Alpen
liegenden Städten läßt das Eindringen
nördlicher Kunstelemente das Fest-
halten an anachronistischen Formen
und höchstens ihre nur geringfügige
Modernisierung als ein ständiges Ereig-
nis erscheinen. Die Vedute des höchst
malerischen Mercato zu Belluno etwa
wird nicht nur als ein sinnfälliges
Gegenbeispiel zu der Piazza S. Giacomo
zu Udine gelten können, sondern der
Abb. 17. Entwurf einer Statue zur Ausschmückung "' H. Wölfflin, „Renaissance undBarockWMünchen,
des Mercato nuovo (Zeichnung) 1908, 3. Auflage, Seite x18.