gebung zu vergegenwärtigen, um die Grundlage für ein feineres psycho-
logisches Erfassen der damaligen Situation zu gewinnen. Peter Flötner und
den Kleinmeistern war es Gewissenssache, die fremde Kunstweise, die ihnen
unbedingt höherstehend erschien, zu verbreiten. Sie griffen in das ganze
Kunstgewerbe ein.
Der praktischen Bedeutung der Ornamentstiche, die sich nicht allein auf
die Kleinkunst, sondern auch auf die Architektur erstreckte, ist bisher bloß
für die deutsche Frührenaissance nachgegangen worden. Albert Brinckrnann
gibt in seinem Buche" zahlreiche Beispiele von Übertragungen italienischer,
niederländischer und deutscher, vorwiegend Aldegreverscher Ornament-
Stiche auf Kacheln, Schnallen, Pilasterfüllungen, Schnitzereien, Dolch-
scheiden usw. Man verfährt bei Benutzung des Stiches ganz willkürlich,
nimmt nicht Rücksicht auf seine Größe, verwendet ihn zu verschiedenstem
Material. Doch findet nur in den seltensten Fällen ein wirkliches Kopieren
statt, die Lust, Eigenes zu geben, bricht beim Kunsthandwerker immer wieder
durch.
Bei einem solchen Eingreifen der Künstler in das Kunsthandwerk wird
es für dieses zum Schicksal, wie weit, künstlerisch genommen, der Eingriff
geht. So ist es für die deutsche Goldschmiedekunst bestimmend gewesen,
daß eine wirklich befreiende Tat weder damals noch auch später zu ver-
zeichnen ist. Unter Dürers Pokalentwürfen gehört der bekannte Doppelbecher
vom jahre 1526"" mit zu den vorgeschrittensten Dürerscher Kunst. Altdorfer,
auf den der Renaissancetypus der Schale auf Fuß zurückzugeben scheint,
Peter Flötner, Virgil Solis, I-Iolbein, der Meister von 1551 und andere
beschäftigten sich mit Gefäß- und Geräteformen mannigfacher Art und die
Praxis zeigt eine mit der Künstlerzeichnung ziemlich gleichgehende Form-
entwicklung. Aber zu einer solchen Freiheit des Künstlerischen wie Cellini
bei seinem Salzfaß für Franz I. ist kein deutscher Künstler gelangt. Jamnitzers
berühmter Tafelaufsatz reicht in bezug auf künstlerische Klarheit an das
Werk Cellinis nicht heran und man muß schon weit zurückgehen, bis auf
eine Aachener Arbeit des XIV. Jahrhunderts, auf das Armreliquiar des
heiligen Simeon,""'"" um auf ein Kunstwerk ähnlicher Freiheit und Größe zu
stoßen. Bezeichnend für die Lage in der damaligen deutschen Goldschmiede-
kunst ist die starke Entfaltung der Neugotik von röoo in diesem Kunstzweige,
von Nürnberg ausgehendrl- Die Überfülle der Formen und das Überwuchem
der leer gewordenen Ornamentik war in keinem Zweige des Kunsthandwerks
so fühlbar geworden wie in dem der Goldschmiede.
Eine Einilußnahme von Künstlern auf das Kunstgewerbe liegt natur-
gemäß dort besonders nahe, wo es sich um ein ausgesprochenes Grenzgebiet
zwischen Kunst und Kunsthandwerk handelt wie bei den Gobelins.
4' Siehe Anmerkung Seite 48.
n" Abgebildet bei Wölfflin, „Die Kunst Albrecht Dürers", 1905, Seite 242.
'" Abgebildet bei v. Falke, „Deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters", Frankfurt, x9o4, Tafel x14.
T v. Falke, „Die Neugotik im deutschen Kunstgewerbe der Renaissance" im "Jahrbuch der preußischen
Kunstsammlungen", Band 40,2, 1919-