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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XV (1880 / 173)

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geschrittenen Technik nach Stilgrundsätzen zu behandeln sei; den dritten, 
welcher die ausser dem Kunstwerke liegenden örtlichen, zeitlichen und 
persönlichen Einflüsse auf Gestaltung desselben besprechen, und seine 
Uebereinstimmung mit Anderem, die Charakteristik, den Ausdruck um- 
fassen sollte. 
Bei diesem dritten Punkte erörtert er in der geistvollsten Weise den 
Einlluss des Arbeiters für den Markt, nicht für eine bestimmte Person 
oder einen bestimmten Ort, und weist zugleich den Leistungen der asia- 
tischen und anderer wenig civilisirter Völkerschaften den gebührenden 
Platz an. Bekanntlich war auf der ersten Londoner Ausstellung noch wenig 
von orientalischer Kunst zu sehen. Japan fehlte gänzlich, China war schwach 
und auch die Türkei nicht vollständig vertreten; dagegen hatte England 
für reichliche Betheiligung seiner asiatischen und amerikanischen Besitzungen 
Sorge getragen, und die indischen und die indianischen Arbeiten waren 
es vornehmlich, welche denkende Beschauer zu Vergleichen mit der euro- 
päischen Kunstindustrie aufforderten, und zu dem beschämenden Geständ- 
nisse nöthigten, dass jene halbbarbarischen Völker uns weit voraus seien. 
Auch Semper erkennt deren Ueberlegenheit im Stil entschieden an, hebt 
jedoch bereits hervor, dass die orientalischen Erzeugnisse, wie sie den 
Bedingungen vollständig entsprechen, welche an die Marktwaare gestellt 
werden müssen, wie sie in alle Umgebungen passen, sich zu den ver- 
schiedensten Zwecken verwenden lassen, dafür des individuellen Ausdrucks, 
der Sprache, der Seele ermangeln. Und indem er voraussagt, dass der 
Einfluss der orientalischen Waaren sich als eine der ersten Wirkungen 
der Londoner Industrie-Ausstellung an den europäischen kunstgewerb- 
lichen Producten zeigen werde, warnt er zugleich vor der blinden Nach- 
ahmung. wWir besitzen einen Reichthum von Wissenu, sagt er, weine nie 
übertroifene Virtuosität im Technischen, eine Fülle von Kunsttraditionen 
und allgemeinverständlichen Bildern, eine wahre Naturanschauung, und 
dürfen wahrlich dies alles nicht für halbbarbarische Weisen hingeben. 
Was wir den Völkern von nicht europäischer Bildung absehen müssen, 
ist die Kunst des Treffens jener einfachen verständlichen Melodien in 
Formen und in Farbentönen, die der lnstinct den Menschenwerken in 
ihren einfachsten Gestaltungen zutheilt, die aber bei reicheren Mitteln 
immer schwerer zu erfassen und festzuhalten sindm Das Studium der- 
selben empfiehlt er wie das Studium der Naturformen, deren unmittelbare 
Nachahmung, welche damals sehr im Schwunge war, er selbstverständlich 
ebenso verwirft. Es ist betrübend, uns sagen zu müssen, dass trotz allem, 
was seitdem geschehen, gelehrt, erstrebt, gearbeitet worden ist, jene Worte 
noch heute wie vor beinahe dreissig Jahren am Platze sind: der Natura- 
lismus zwar ist so ziemlich zurückgedrängt, dagegen florirt gerade in 
einigen tonangebenden Ländern das gedankenlose Nachälfen orientalischer 
Besonderheiten, und das von Semper geforderte Studium der Natur behufs 
der selbstständigen künstlerischen Reproduction ihrer Formen gehört überall
	        
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