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Beziehungen zwischen Oesterreich und Süd-Deutschland, zwischen Wien
und München sind, als die starke Betheiligung der österreichischen Kunst-
industrie an der Münchener Ausstellung. Die Elite der österreichischen
Kunstindustrie, die hervorragendsten Träger des österreichischen Bürger-
standes sind gegenwärtig in München vertreten.
Diese Gedanken werden gegenwärtig festgehalten werden müssen
bei der Beurtheilung der Münchener Ausstellung. Es handelt sich, wie
jüngst noch an einem anderen Orte') gesagt wurde, darum, rzu zeigen,
was auf den Gebieten der Kunst und der Kunstgewerbe in den letzten
fünfundzwanzig Jahren in Deutschland und in Oesterreich geleistet wurde,
nicht blos darum, die kunstgewerblichen Productionen mit rein künst-
lerischen in Verbindung zu bringen und durch eine geschmackvolle Auf-
stellung den Werth der ausgestellten Gegenstände zu erhöhen, sondern
noch mehr darum, gerade durch diese Ausstellung die kunstgewerbliche
Bewegung in jene Kreise zu tragen, die ihr gegenwärtig ziemlich ferne
oder feindlich gegenüberstanden. Denn viele der einflussreichsten Kreise
der heutigen deutschen - und leider auch der österreichischen - Ge-
sellschaft betrachten es wie ein Axiom, dass die Deutschen keinen aus-
gesprochenen Beruf zum Kunstgewerbe haben, und suchen daher ihre
Bedürfnisse in dieser Richtung vorzugsweise vom Ausland, speciell von
Frankreich und England aus, zu deckenm
Die Interessen, welche in Deutschland zum Ausdruck kommen, sind
grossentheils dieselben, die uns in Oesterreich bewegen; auch bei uns
handelt es sich darum, der österreichischen Kunstindustrie im Auslande das
Absatzgebiet zu sichern, und diejenigen Elemente zu stärken, welche be-
rufen sind, die kunstgewerbliche Productinn zu heben und die österreichische
Industrie dem Auslande gegenüber in höherem Grade concurrenzfähig zu
machen. Wir geben uns aber auch nicht der Täuschung hin, als ob die
gegenwärtige Lage der Industrie und Kunst besonders günstig sei, um
dieses Ziel zu erreichen. Denn gerade die gegenwärtigen Verhältnisse
üben einen mächtigen Druck auf jede künstlerische Production, sei es auf
dem Gebiete der eigentlichen Kunst, sei es auf dem Gebiete der Kunst-
gewerbe oder jenem der Bauthätigkeit. Dazu kommt noch die bevorste-
hende Pariser Weltausstellung, welche rnit neuen Anforderungen sowohl
an den Staat als auch an die kunstgewerblichen Productionen herantritt.
Je schwerer aber die Lage ist, in desto höherem Grade müssen jene Ele-
mente, welche den gewerblichen Fortschritt im Innern hindern, beseitigt,
und mit Aufmerksamkeit das verfolgt werden, was in den Nachbarstaaten
vorgeht. Die Münchener Ausstellung wird zwar nicht ein vollständiges
Bild der deutschen Kunst und Kunstindustrie der Gegenwart geben, da
gleichzeitig auch in Köln eine kunstgewerbliche Ausstellung für Gold-
schrniedeltunst stattfindet, und im Herbste in Berlin eine grosse Kunst-
') S. Teiriclfs vßlütter für Kunstgewerbec, Jahrgang 1876. Heft IV, S. 42.
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