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dem Oberstkämmerer des Kaisers, dem Bürgermeister Dr. Felder und
dem Grafen Wrbna übergeben wurde. Wir werden im Laufe dieses
Herbstes noch Gelegenheit haben, ausführlich auf den Inhalt dieser Denk-
schrift zurückzukommen, können aber unsere Befriedigung über diesen
Schritt nicht verhehlen. Es ist zum ersten Male, dass Wiener Künstler,
die Mitglieder der Akademie der bildenden Künste nicht minder als die
selbständigen Bildhauer sich zu einer gemeinschaftlichen Action ver-
einigt haben, ohne sich auf Recriminationen und polemische Schritte
einzulassen. Sie bringen sachliche Motive zur Geltung, in ruhiger und
gemessener Form. Sie betonen die sociale Lage der Bildhauer, und heben
mit Recht hervor, dass es nicht angeht, auf der einen Seite grosse künst-
lerische Anforderungen zu stellen, und auf der anderen Seite, die mate-
riellen Grundlagen zu ignoriren, welche bei den Bildhauern in Betracht
gezogen werden müssen. Die Bildhauer sind in einer sehr schlimmen
Lage, sie können nicht wie die Maler ihre Werke auf Ausstellungen wan-
dern lassen; sie stehen nicht wie die Architekten, mit dem Publicum in
directern Verkehre; die haben ausserdem mit einem Publikum zu thun,
das sich sehr für Malerei und Architektur interessirt, aber für die plastische
Kunst wenig Verständniss hat.
Je weniger also äussere Umstände der Bildhauerei günstig sind,
desto wichtiger war es, dass von Seite des Unterrichtsrninisteriurns Schritte
gethan wurden, um wenigstens an der Akademie der bildenden Künste
der Plastik eine würdige Stellung zu verschaffen. Zum ersten Male in
Oesterreich sind Professoren an der Akademie thätig, welche mit wohl
eingerichteten Ateliers versehen sind. Im neuen Akademiegebäude ist für
die Abtheilung der Bildhauerei, und für ein Museum von Gypsgüssen aus-
reichende Sorge getragen worden. Ferner ist in den Räumen der Welt-
ausstellung flir Bildhauer eine Stätte bereitet. Aber alle diese Schritte
berühren mehr den Unterricht und die Zukunft, als die Interessen
des Momentes, und es ist begreiflich, dass das Memorandum in erster
Linie jene Interessen in's Auge fasst, die actueller Natur sind. uDlß Ge-
fertigten", so drückt sich das Memorandum aus, wbefreien sich nur von
einer moralischen Schuld, wenn sie sich an das P. T. mit dem Ersuchen
und der Aufforderung wenden, dasselbe wolle in gerechter Würdigung
der Interessen der bildenden Kunst, deren Vertreter und der ausübenden
Künstler dahin wirken, dass bei den unter der Aegide des P. T. auszu-
führenden Monumentalbauten die für die Plastik bestimmten Summen in
derart angemessener Weise festgesetzt werden, dass bei solchen Anlässen
die decorativen Bildhauer von den monumental künstlerischen geschieden
- zu den betreffenden Comiteberathungen auch diese zugezogen werden,
damit solche Arbeiten rechtzeitig vergeben und mit jener Musse ausge-
führt werden, welche den Erfolg verbürgt, und dass endlich diese plasti-
schen Arbeiten von fähigen Künstlern ohne Verleugnung ihres moralischen
und materiellen Interesses übernommen und in würdiger Weise vollendet