BEILAGE
Nr. 170 der „Mittheilungen des k.k. Oesterr. Museums".
Zum Schlusse meines Berichtes muss ich noch einmal auf euro-
päischen Boden zurückkehren, um die Eindrücke zu summiren, die ich
auf der Ausstellung zu Paris empfing, und die Fortschritte zu verzeichnen,
welche die Frauenschulen und die Frauenarbeit seit dem Jahre 1873 fühlbar
und sichtbar gemacht haben.
Einer der grössten dieser Fortschritte war im Geschmacke, in dern
Begriffe vom Werth und Unwerth der Frauenarbeit zu bemerken. Eine
grosse Zahl der im Jahre 1873 zu Wien noch erkennbaren Verirrungen
waren von der Ausstellung in Paris fortgeblieben; die Lithographie-
lmitationen, die Gewlirzbouquets, die gestickten Porträts, die Früchte aus
Schafwolle und viele verwandte Dinge sind von dem Schauplatze ver-
schwunden. Auch die berüchtigten Galeerenarbeiten von Frauenhand
waren kaum zu entdecken, und nur Frankreich brachte einige Objecte,
die an vergangene Zeit gemahnten. Das eine dieser Objecte war ein
Kleid ohne Naht, auf Netzgrund gestickt; das Netz war in 390 Arbeits-
tagen angefertigt worden und zählte z,o5o.ooo Maschen; die Länge des
seidenen Fadens, aus dem es geknüpft war, betrug 12.700 Meter. -
Das zweite war eine Alba, auf welcher zu lesen stand: point renaissarice,
aus Zwirn, mit der Nadel von einer einzigen Arbeiterin gearbeitet; 4000
Arbeitsstunden. Zu verkaufen! Der Zettel, der die letzten zwei Worte
enthielt, hing Wochen und Monate, ohne mit dem Erlösungsworte nvendul
begnadet zu werden, trotzdem ungezählte Blicke an dem Kleide und seiner
kurzgefassten Entstehungsgeschichte gehaftet hatten. 4000 Arbeitsstunden
sind eben noch keine genügende Empfehlung für ein Werk von Frauen-
hand und ercheinen eher wie ein Zeugniss über glücklich überstandene
Tortur. Wer soll auch die 4000 Stunden bezahlen, die so traurig ver-
wendet wurden?
Italien, das in Wien eine so auffallende Mischung von Schönem
und von Unmüglichem, weit in das Gebiet der Lächerlichkeit Hinein-
ragendem ausgestellt hatte, zeigte sich auf der Pariser Ausstellung fast
gänzlich befreit von den einstigen Mängeln. In würdiger, oft überraschender
Weise zeigte es den Geist ernsten Strebens und gesunden Fortschrittes;
das dilettantenhafte Spielen mit Zeit und Arbeit war nirgends heraus-
zufühlen; in den modernen Arbeiten war der alte gute Stoff zu erkennen,
über den ein Land gebietet, dem künstlerische Ueberlicferungen in so
reichem Masse zu Gebote stehen. .
Als ein Fortschritt, dessen Tragweite kaum zu ermessen ist, sind
die gewerblichen Schulen zu bezeichnen, deren Zahl seit dem Jahre 1873
1879- xlv. 18