ein nationales Kunstgefühl anzuregen, müssten eigene Museen und Schulen
für gewerbliche Kunst gegründet werden; er war es, welcher damals die
Pläne entwarf, nach welchen die beiden grossen Institute in South Ken-
sington und in Sydenham eingerichtet worden sind; er hat jenes un-
sterbliche Werk über den Stil in den technischen und tektonischen Künsten
verfasst, jene praktische Aesthetik, deren Leserkreis bisher wohl nicht so
gross ist, wie sie ihn zu haben verdiente, deren Lehren aber von hundert
anderen Schriftstellern in allen Cultursprachen verbreitet und vielfach
bereits Gemeingut gewordensind. Auch wir glauben uns also vollberechtigt,
ihn den Unsrigen zu nennen und in höherem Masse verpllichtet, ihn zu
feiern. Den Ruhm des Architekten verkünden seine Werke selbst. Die
grosse schöpferische That aber, auf welche wir soeben hingedeutet haben,
vor dem Vergessen- oder Verkleinertwerden zu wahren, das ist Ehren-
pflicht derjenigen, welche die von ihm eröffnete Bahn beschreiten. Be-
rufeneren anheimgebend, seine anderen Verdienste zu würdigen, werden
wir nur versuchen, diesen einen Theil seines Wirkens zu charakterisiren,
und zwar so weit es thunlich, mit seinen eigenen Worten.
Vorher aber möge gestattet sein, in Kürze den Lebensgang Sernpers
bis zu seinem achtundvierzigsten Jahre zu skizziren.
Am 29. November 1873 begingen wir seinen siebzigsten Geburtstag,
es muss mithin von den widersprechenden Daten über sein Geburtsjahr 1805
als richtig angenommen werden. Altona ist sein Geburtsort. Er war für
den juristischen Beruf bestimmt, erwarb sich auf dem Gymnasium und der
Universität jene gründliche classische Bildung, von welcher seine Schriften
so vielfach Zeugniss geben, und studirte ausserdem exacte Wissenschaften,
da sein Wunsch war, sich der Militärbaukunst widmen zu können. Erst
mit zweiundzwanzig Jahren wandte er sich dem Studium der Architektur
zu. Es folgte fast ein Jahrzehnt des Wanderlebens, als dessen Haupt-
stationen München, Regensburg, Paris, Italien, Griechenland genannt werden
können. Die Studienreisen waren damals noch etwas weniger bequem zu
machen als heutzutage. Semper sprach gern davon, wie er, zu Fuss
mit dem Ränzel auf dem Rücken, Italien durchstreift habe, und in einer
seiner Streitschriften über die Polychromie der Alten wird erwähnt, wie
er vals obscurer Arbeiter im Linnenkittelu wochenlang auf dem Theseus-
tempel herumgeklettert sei und mit dem Federmesser herumgekratzt habe.
Die Frucht dieser Untersuchungen sollte die Welt zuerst kennen lernen,
die berühmte Schrift nBernerkungen über bemalte Architektur und Plastik
bei den Altem. (1834,), welche bei den herrschenden Vorstellungen auf den
heftigsten Widerspruch stiess. Während Schinkel die Arbeit in einem
Briefe, welcher am Schluss des ersten Bandes vom "Stile abgedruckt ist,
mit Wärme begrüsste, wollten Kugler und Andere die Behauptung, dass
die Alten den Marmor gefärbt hätten, gar nicht oder doch nur mit
grosser Einschränkung gelten lassen, und die Gewohnheit den Stein nur
weiss, oder nur von einer natürlichen Patina überzogen zu sehen, und die