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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XVIII (1883 / 210)

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den Nationalreichthum als den Zustand zu denken, in welchem ein Volk 
ohne zu arbeiten, nur genießen könnte. An diesem lrrthurn ging Spaniens 
Macht und Wohlstand ein Jahrhundert nach der Entdeckung Amerika's 
zu Grunde. Ebensowenig aber ist der Gedanke zulässig, dass es einem 
Volke freistehen könne, nach Reichthum zu streben oder nicht. Was die 
Aufgaben eines Volkes erheischen, das muss geschehen; hier ist jeder 
Verzicht unzulässig. Und die Aufgaben der Völker, die an dem großen 
Werke der Civilisation mitarbeiten wollen, sind -von jeher so große 
gewesen, dass sie auch immer nach Reichthum streben mussten. Die Ge- 
schichte ist unerbittlich über solche Gemeinwesen hinweggeschritten, die 
sich keine großen Zwecke gesetzt hatten. So steht also das Streben nach 
Reichthum bei ganzen Völkern in innigster Beziehung zu ihren politi- 
schen Aufgaben. Es ist eine innere Nothwendigkeit, wie das Streben nach 
politischer Selbsterhaltung. 
Die Wege, auf welchen die Völker das Ziel des Nationalreichthurns 
zu erreichen hoEten, sind sehr verschieden gewählt worden. Doch zieht 
sich ein einheitlicher Grundgedanke durch die ganze Entwicklung. Die 
antike Welt hatte eine sehr beschränkte Vorstellung vom Nationalreich- 
thum, da ihre politische und wirthschaftliche Abgeschlossenheit des 
Staatswesens ein Axiom war und sie fremden Gemeinwesen keine gleich- 
berechtigte Existenz zuerlfannte. Soweit Nationalreichthum vermehrt werden 
sollte, konnte man sich das nur durch Erorberung fremden Territoriums 
denken. Auch dem Mittelalter fehlte der politische Inhalt des Reichthums- 
begriffs; im engen Kreise schloss sich das Volk hier für die wichtigsten 
Zwecke seines Lebens ab und suchte sich hier auch selbst zu genügen. 
Erst mit der Entdeckung der neuen Welt entsteht der volle Begriff des 
Nationalreichthums: das Volk sollte nicht nur genug haben für den 
eigenen Bedarf, sondern auch viel haben im Vergleich zu anderen Völkern. 
Und solcher Reichthum war allein durch innere Wirthschaft nicht 
zu erlangen; im Wettbewerbe mit anderen Völkern musste man ihn zu 
erringen trachten. Dieser Gedanke führte in dem sogenannten Mercanti- 
lismus zuerst zu wechselseitigen Versuchen der Ausbeutung durch den 
auswärtigen Handel. Erst später, als sich die Staaten immer mehr durch 
Prohibitivzölle gegen einander absperrten, war die Aufmerksamkeit wieder 
mehr auf die eigene Production gelenkt und zuerst durch Pflege der 
Exportindustrie die Ueberlegenheit auf den fremden Märkten angestrebt. 
Hatte mit dieser Wendung der Mercantilismus auch einen unleugbaren 
Fortschritt gemacht, so blieb er doch in einseitiger Ueberschätzung des 
Ausfuhrhandels für das Problem des Nationalreichthums befangen. 
i Derselbe Gedankengang aber, der schon den Mercantilismus zur 
Pflege einheimischer Industrie geführt, wirkte fort. Man fand bald, dass 
auch der günstigste Export von Fabricaten wenig bedeute gegenüber der 
gesammten Production eines Volkes, dass der Handelsgewinn auf fremdem 
Markte stets unsicher, der Gewinn der Bodenproduction dagegen jederzeit
	        
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