Der Gegenstand dürfte manchen der hochgeehrten Anwesenden als
ein neuer erscheinen, trotzdem er bereits über 200 Jahre hervorragende
Volksfreunde und Pädagogen beschäftigte und immer wieder an die Ober-
fläche trat, wenn große sociale Reformen im Werke waren; einigemale,
um auf Jahrzehnte hinaus segensreich für große Kreise zu wirken, meist
aber, urn wieder mit dem Tode seines Verfechters in den Hintergrund
gedrängt zu werden.
Nur nach zwei Seiten hat er nach mehrhundertjährigem Kampf einen
bleibenden Erfolg zu verzeichnen, um gegenwärtig, nach wenigen Jahr-
zehnten, in seiner Durchführung für selbstverständlich und unanfechtbar
zu gelten.
Es ist dies die Einführung der weiblichen Handarbeiten in den
Unterricht der Volks- und Bürgerschulen.
Man erklärt heute: Die Schule hat das Mädchen für das Leben
vorzubilden; die Lebenssphäre der Frau ist in den allermeisten Fällen
das Haus; um einem Hauswesen vorzustehen, muss die Frau die Arbeit
lieben und schätzen und selbst arbeiten können, nur so werde sie ihrem
Berufe zu entsprechen vermögen. Die Schule, welche als Gehilfin des
Elternhauses auch dessen Zwecke verfolgen muss, darf sich der Aufgabe
nicht entschlagen, dem Mädchen Lust, Verständniss und Geschicklichkeit,
Anstelligkeit zur Arbeit zu vermitteln.
Auch für das vorschulpflichtige Alter der Knaben und Mädchen
wird der Werth der Arbeit anerkannt. Einmal, um dem Thätigkeitstrieb
der kleinen Wesen zu genügen, dann um die kleinen Händchen gelenkig
zu machen, lässt man diese flechten, falten, bauen, rnodelliren, Stäbchen
legen und wie all' die sogenannten Kindergarten-Beschäftigungen heißenÄ
Hier hält man die Arbeit für ein wesentliches Erziehungsmittel; nur im
schulpßichtigen Alter der Knaben. glaubt man ohne dieses Mittel, ohne
die physische Arbeit den Zweck der Erziehung erreichen zu können, den
Knaben auch für alle Verhältnisse des praktischen Lebens genügend vor-
bereitet zu haben.
Wie ungeschickt und unpraktisch erweist sich aber nicht ein 14-,
ISjähriger Junge? Man hilft sich freilich über diese Erscheinung meist
mit dem tiefsinnigen Ausspruch hinweg: "Er ist halt in den Tölpel-
jahrenlw
Warum zeigt sich aber das rSjährige Mädchen meist recht anstellig
zu allen häuslichen Geschäften? - weil es arbeiten gelernt hat. Warum
verliert es nicht die Geduld, an einer Arbeit wochenlang zu sitzen? -
weil es sich daran gewöhnt hat. Keine Regel ohne Ausnahme. Mancher
Knabe, der durch die höheren Schulen läuft, erwirbt nie eine Geschick-
lichkeit der Hand; dabei verlernt er noch ordentliche Schriftzeichen zu
machen und gewinnt so bald den äußeren Anstrich des unpraktischen
und schlechtschreibenden Gelehrten, wie er von den Romanschriftstellern
und Dramatikern gerne gezeichnet wird.