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nur unser Wien zu bieten im Stande sein! Die central gelegenen Museen
bleiben hauptsächlich den bevorzugten Classen, den bestimmten Lehr-
zwecken vorbehalten. Hier dagegen würde die Kunst dem Volke an
seinen Erholungsort und in seine Erholungszeit nachgehen; die edelsten
Erzeugnisse der Vergangenheit könnten hier, wo Natur und Himmel
mitwirken, den Menschen freudiger und empfänglicher zu stimmen, wahr-
haft zum Gemeingut Aller werden. -
Wir sehen einen Wettkampf entbrannt unter den Völkern Europa's,
in fernen Welttheilen sich festzusetzen und ihre Autorität zu begründen.
Dieses Expansionsbestreben ist nur ein neues Aufleuchten des tief im
lnnern der Nationen glühenden Verlangens nach Wohlstand und Macht.
Schon können wir den Zeitpunkt herannahen sehen, an welchem alle
Länder und Völker der Erde den führenden europäischen Nationen
materiell und geistig unterworfen sein werden. Die in Handel und Politik
regsamsten Völker Europa's, Engländer, Deutsche, Franzosen, sind auch
die thätigsten in der Förderung ihres Bildungswesens und in der Kunst-
pflege. Allerorten erkennt man die ungeheuere volkswirthschaft-
liche Bedeutung der Kunst. Erst kürzlich haben unsere öffentlichen
Blätter den Wortlaut der Petitionen und Adressen gebracht, welche die
hiesigen Künstlerkreise der hohen Regierung und dem Parlament unter-
breitet haben, und in welchen sie die nachtheilige Lage der österreichi-
schen Kunst, verglichen mit den Verhältnissen anderer Länder, kenn-
zeichnen. Da werden als Vorbilder für uns eben dieselben Staaten auf-
geführt, die ich vorhin nannte. England verwendet für die Pflege der
Kunst jährlich etwa neun Millionen Francs, Frankreich ungefähr sieben
Millionen, Preußen acht Millionen Mark, während wir im Budget des
cisleithanischen Oesterreich nur die Summe von 400.000 fl. für sämmt-
liche Erfordernisse der Kunstschulen, Akademien, Museen, Ausgrabungs-
und Restaurationsarbeiten u. s. w, angesetzt finden: eine Summe, welche
kaum so groß ist wie das Jahresbudget des Berliner Museums und
bedeutend geringer als das jährliche Erforderniss des South-Kensington-
Museums in London. Also einer einzigen dieser großangelegten Samm-
lungen wird dort derselbe Aufwand zu Theil, welchen man bei uns den ge-
sammten staatlichen Kunstinteressen des Reiches widmet. Darf es uns
da noch wundern, dass unsere Künstler klagen, dass Meister und Schüler
nach München und Paris auswandern, dass der Kunsthandel stockt, dass die
bedeutendsten unserer heimischen Talente - und welches Land wäre
reicher an Talenten als das unsrige - in den Wiener Museen gar nicht
oder nur mittelmäßig vertreten sind.
Ich will es mir versagen, diese Schilderung weiter auszuführen und
mit dem Gesagten nur andeuten, dass es in dem mit Schätzen aller
Art gesegneten Oesterreich noch Manches gibt, was geschehen könnte,
um diese Schätze zu heben, mit ihnen zu wuchern, zum Besten des