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brauchbarer Weise publicirt ist und interessante Landschaften als Schauplatz der heil. Ge-
schichte zur Darstellung bringt. Kaemmerer's Beurtheilung der karolingischen Auffassung
der Landschaftsmalerei (S. 13 E.) an der Hand der Schriftquellen ist verdienstlich.
Nebstbei mochten wir auch seine zutreffende Bemerkung bezüglich der Monatsbilder
hervorheben, auf die er durch eine Stelle der libri carolini geführt wird. Dagegen
ist der Abschnitt über die landschaftlichen Elemente in den ltarolingischen Minia-
turen nicht selbstandig und ausführlich genug. So vermisse ich u. A. gänzlich die
Benutzung des wohl noch carolinischen Evangeliars in der Wiener Schatzkammer. Ein
eigentlicher Ueberblick über die bald antikisirende, bald orientalisirende Richtung der
karolingischen Miniaturen, sowie über die irisch-an elsächsischen und merowingischen
Elemente derselben tritt nirgends zu Tage. Die Bibe von San Callisto wird (wohl nur
mittelst Druckfehler) in's to. Jahrhundert versetzt (S. 25). ln dem Abschnitte über das
Psalterium aureum von St. Gallen wird auch von der Darstellung des Terrains durch
Bogenlinien gesprochen. Eine neue Beobachtung, die sich mir wiederholt beim Studium
dieser Formen aufgedrängt hat, ist die. dass diese Bogenlinien fast ausnahmslos nach
dem natürlichen Muskelzuge der rechten Hand verzogen sind, also dieselbe Neigung
nach rechts zeigen wie die Züge aller rechtshin gezogenen Cursivschriften. Befriedigend
zu erklären ist diese Erscheinung aus dem Bau und der Function der menschlichen
Hand. Unsere Beobachtung lasst von Neuem erkennen, dass die meisten Miniaturen des
frühen und hohen Mittelalters auf den untersten Stufen zcichnender Kunstübung stehen
geblieben sind.
Selbständiger als die früheren Capitel hat Kaemmerer den Abschnitt über roma-
nische Kunst aufgefasst, in welchem mir übrigens ein Heranziehen auch der Plastik
erwünscht scheinen mochte. Nach meinem Geschmacke vermisse ich auch eine übersicht-
liche Gliederung der morphologischen Elemente jener unausgebildeten Landschaft des
hohen Mittelalters, etwa eine Eintheilung in: Terrain, Vegetation, Himmel und Wolken,
Wasser. Am meisten Mannigfaltigkeit bietet jedenfalls die Darstellung der Vegetation.
Die zwei Typen von Baumen allein, die Kaemmerer (S. 29 f.) hervorhebt, sind entschieden
zu wenig. Zum mindesten musste noch ein dritter Typus, ein Geaste mit stilisirten
Blättern daran, aufgestellt werden, neben den Rankenstilisirungen und den pilzhutartigen
Formen; ganz abgesehen von den mannigfachsten Formen fruchttragender Baume etc. etc.
Eine historische Betrachtung der oben gegebenen Elemente mit Ausnahme der Vegetation
zeigt auffällig, wie nahe verwandt die niedrigen Darstellungsformen, sowohl von Wasser
und Terrain, als auch von Wolken unter einander sind. Ueber die Embryologie (man
gestatte den ungewöhnlichen aber gewiss bezeichnenden Ausdruck) der Wolkendar-
stelluug habe ich an anderem Orte Andeutungen gegeben. Die Darstellung bewegten
und ruhigen Wassers könnte an und für sich Gegenstand einer kleinen Studie bilden.
Zu Seite 3o-3t von Kaemmerefs Buch, wo zahlreiche Beispiele registrirt werden, hatte
ich zu bemerken, dass sich in einem der Hildesheimer Domcodices (Evnngeliar aus dem
tt. Jahrh.) auf Fol. 75b eine fast selbständige Landschaft findet, deren Betrachtung für
das Thema von Wichtigkeit ist. Die Darstellung der Himmelfahrt ist vom Miniator auf
jenem Bilde fast ganzlich vergessen über der Freude an blühender Vegetation.
Abgesehen von einigen Beobachtungen, die auf Werke des 14. Jahrhs. bezogen
werden, aber an alteren Denkmälern schon zu machen gewesen waren (Dißerenzirung
von Stamm und Krone der Baume durch die Farbe), ist das Capitel über die Land-
schaft zur Zeit des gothisehen Stiles jedenfalls sehr correct ausgearbeitet. Bezüglich der
Van Eyck's konnte erwähnt werden (S. 46 Anm), dass die Annahme des Abbate Morelli,
als hatte Jan van Eyck selbständige Landschaften gemalt, schon in l"riz70ni's Ausgabe
des Anonimo Morelliano (S. 31) angezweifelt worden ist. lm Uebrigen ist der Abschnitt
über die alt-flandrische, die Brabanter, die holländische und rheinische Malerei tüchtig
durchgcbildet; ebenso, wie schon angedeutet, das Capitel über die Landschaft bei Dürer.
Das sogenannte Traurrgesicht Dürer's von 1525, das für des Meisters Beurtheilung auf
dem Gebiete der Landschaftsmalerei nicht ohne Belang ist, habe ich nicht erwahnt
gefunden. Trotzdem dürfen wir mit dem Urtheile nicht zurückhalten, dass Kaemmerer
offenbar mit Methode auch die Dürer-Forschung gepllegt hat. Fr.
La femme au dix-huitieme siecle. Par Edmond et Jules de Goncourt.
Nouvelle 6dition.... par Dujardin. Paris, Firmin-Didot, 1887. 4.".
Vll 'u. 403 S. mit 64 Illustrationen.
Das wohlbekannte Buch der Brüder Goncourt, das in erster Ausgabe bereits im
Jahre 1862 erschienen, zeigt sich in dieser zweiten Ausgabe in ganz neuer Gestalt. Jene
erste war ohne alle Abbildungen; man hatte sie bei dem Interesse, welches sich mit
vielen der im Texte erwähnten und geschilderten Personlichkeiten verknüpfte, ungernc