Klaus Maurice
Alte Automaten
Der folgende Beitrag bildet ein Kapitel im Buch
des Autors ., Von Uhren und Automaten",
das 1968 im Prestel- Verlag München erschien.
Wir danken dem Verlag für die freundliche
Genehmigung des Wiederabdruckes.
Automaten waren die ersten zusammengesetz-
ten Maschinen, die der Mensch schuf und mit
denen er versuchte, die Natur oder das Leben
nachzuahmen. Diese Versuche, den Schein des
Lebens durch dessen unmittelbarste Äußerung,
die Bewegung, zu erfassen, gehen bis auf home-
rische Zeit (die goldenen Mägde des Hephaistas
in der Ilias) bis zum orientalischen Altertum
zurück. Gaspar Schott, der schon öfters erwähnt
wurde, rechnet die Automaten zur künstlichen
Magie. Wenn das Wort damals auch eine viel
größere Bedeutung umschloß als heute, so
steckt darin doch noch der Ausklang einer dömo-
nischen Auffassung der Kunst, deren höchstes
Lob in der Lebendigkeit des Kunstwerks be-
stand, ein schon aus der Antike in unzähligen
Künstleranekdoten überlieferter Concetto. In den
Automaten spiegelt sich die Macht, aus Unbe-
lebtem Leben schaffen zu können.
Ihre größte Entwicklung und Vervollkommnung
erfuhren die Automaten während der Wieder-
entdeckung der Antike in der Renaissance, zu-
nächst im Festwesen, in den großen allegori-
schen Umzügen und auf der Bühne, auf der der
„deus ex machina" wiedererstand. Leonardo
baute 1509 zum Empfang Ludwigs XII. von Frank-
reich einen Löwen, der dem König entgegen-
schritt, sich die Brust öffnete, in der, statt des
Herzens, eine Lilie blühte. In den lateinischen,
italienischen und französischen Übersetzungen
der alexondrinischen Mechaniker, des Ktesibion,
der schon Vitruv bekannt war, des Philon und
Heron, ergänzen Kommentare die antiken me-
chanischen und pneumatischen Konstruktionen,
so zum Beispiel ersetzt Robert Fludd die Seilzüge
bei Heron durch ein Röderwerk und unterstreicht
damit gleichsam den Unterschied zur Antike,
wenn er nämlich Getriebe und mechanische
Kraft statt Seile, Züge und Wasserkratt setzt,
einen Vorgang, den wir vor allem bei Uhren
beobachten werden. Heron - ihn rühmt auch
Dasypodius, der die Berechnungen für die
zweite Straßburger-Münster-Uhr machte - Heron
beschrieb das selbständige Öffnen der Tempel-
türen, wenn auf dem davor stehenden Altar
ein Opferfeuer entzündet und nun den Gläubi-
gen wie durch ein Wunder das Bild der Gottheit
im Tempel sichtbar wurde. Die Luft dehnte sich in
dem hohlen Altarraum aus und drückte Wasser
aus einem Gefäß in einen Behälter, der sich da-
durch senkte und über Rollen und Seile die
Tempeltüren aufzog. War das Feuer erloschen,
vollzog sich der Vorgang in umgekehrter Reihen-
folge. Die Konstruktionen dieser Automaten wer-
den in den Maschinentraktaten von Ramelli, da
Strada und de Caus für die Wasserkünste und
Automaten in Gärten und Grotten verwandt.
Die wissenschaftliche Literatur der Jesuiten be-
faßte sich sehr mit Automaten. Auch hier ist
Athanasius Kircher ein unermüdlicher Kompila-
tor, eine unerschöpfliche Quelle für den Nürn-
berger Ratsherrn Harsdörfter. In seinen Versu-
chen, die ägyptische Sprache, die Hieroglyphen,
zu entziffern, berichtet Kircher von den sprechen-
den Köpfen, die die ägyptischen Priester zu
Weissagungen benutzten. Im Mittelalter sollen
Albertus Magnus und Roger Bacon solche spre-
chenden Häupter besessen haben,und,von diesen
Quellen angeregt, versuchte Kircher in Rom, für
die Königin Christine von Schweden eine „weis-
künstliche Bildsciule" zu bauen, die auf alle vor-
gelegten Fragen Antwort geben sollte.
Nicht allein die sprechenden Köpfe wurden
nachgebaut, auch die künstlichen Menschen, die
Androiden. Die beweglichen Statuen des Dä-
dalus, die vor seinem Labyrinth wachten (Aristo-
teles, „De anima"), waren die Ahnen des eiser-
nen Türöffners von Albertus Magnus. Ihn zer-
schlug Thomas von Aquin als Teufelswerk, wor-
auf Albertus klagte, dreißig Jahre Arbeit seien
zerstört. Nicht viel besser erging es der Auto-
matenpuppe „Francine" von Descartes, die ein
Kapitän mit ihrer Kiste über Bord warf aus
Angst vor ihren Hexenkünsten. Harmlaseres
Schicksal war den Androiden des Kunstschlassers
Hans Bullmann (gest. 1535 in Nürnberg) beschie-
den: Seine Manns- und Weibspersonen waren
durch ein Uhrwerk beweglich, gingen hin und
her und schlugen nach der Mensur die Pauke
oder spielten auf der Laute.
Die Nachahmung des Lebens in Automaten und
der kosmischen Bewegungen in astronomischen
Modellen, auf die wir noch eingehen werden,
zeigen die beiden Möglichkeiten des Menschen
in seiner Rolle als „imitator creatoris". Diese
seine beiden Versuche entstanden zur gleichen
Zeit, für beide wird zuerst Technik angewandt,
Apparaturen, die später auf andere Maschinen
und Instrumente übertragen werden. Diese bei-
den Prinzipien der Nachahmung, das kosmische
wie animistische, reichen durch eine stete Tradi-
tion über Byzanz und den Islam bis ins Mittelal-
ter und sind vereint in den großen Schauuhren
in Kirchen oder Rathäusern, in denen die Darstel-
lung des Universums mit automatischem Figuren-
werk verbunden ist: Hier sei dafür die ver-
kleinerte, gering variierte Nachbildung der zwei-
ten Straßburger-Münster-Uhr erwähnt, die vom
gleichen Uhrmacher, der die Münsteruhr baute,
gearbeitet wurde.
Das antike Prinzip der Wasserkraft, die, wie wir
sahen, regulierende wie antreibende Kraft war
und über einen Schwimmer ein Uhrwerk antrieb,
Figuren bewegte, wird von Ridwan und al Jazari,
zwei arabischen Gelehrten zu Beginn des I3.
Jahrhunderts, im Detail beschrieben. Bei beiden
finden sich neben Wasseruhren Konstruktionen
von Automaten, trabenden Elefanten, schwim-
menden Schiffen, die aber immer noch das Was-
ser als antreibende Kraft haben. Eine der im
Abendland bekanntesten und in den Geschichts-
quellen immer gegenwärtigen arabischen Was-
seruhren wurde Karl dem Großen 807 als Ge-
schenk Harün-al-Raschids überreicht. Einhard,
der Biograph des Kaisers, hat sie ausführlich
beschrieben: Zu den vollen Stunden fielen me-
tallene Kugeln auf eine Glocke herab - eine
„lndikation", die noch bei Automaten des I6.
Jahrhunderts wiederholt wurde -, und zwölf
Reiter sprengten aus zwölf Toren heraus und stie-
ßen so viele Türen zu, wie es der Stundenzahl
entsprach.
Von der ersten Straßburger-Münster-Uhr (1354),
die nach zweihundert Jahren nicht mehr lief,
weil ihr Rüderwerk verrostet war, und deren
Beschreibung varn Erbauer der zweiten Uhr, von
Dasypodius, bekannt ist, von dieser ersten Uhr
werden zwei Anekdoten überliefert. Die erste:
Ihrem Erbauer seien durch einen Beschluß der
Stadt die Augen ausgestochen worden, damit er
nicht noch einmal so ein Wunderwerk konstruie-
ren könnte. Diese Geschichte findet sich bei
fast allen großen Schauuhren erwähnt und soll
nur ein Beweis für deren Einmaligkeit sein. Die
andere jedoch, der Erbauer habe bei den Ara-
bern gelernt, zeigt, auch wenn die Wirklichkeit
nicht mehr nachprüfbar ist, daß die Bedeutung
arabischer Kunstfertigkeit der Zeit bekannt war.
Die Araber ergötzten sich auch schon an Trink-
spielen, wie sie dann seit der Renaissance be-
liebt waren; der Gast, an dessen Platz der Pfeil
niedertiel, den eine Autamatenfigur abschaß,
mußte sein Glas leeren.
Neben den Wagen der Festzüge, die als Schiffe
oder riesige Tiere gestaltet sein konnten, sind
Tofelaufsätze für Automaten vorbildlich gewor-
den. Schon bei den Schauessen am Burgundi-
schert Hof standen auf großen Tischen Land-
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