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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1873 / 99)

 
' standen haben mögen. 
Die Byzantinische Ornamentik bringt eine Ver- 
mengung der Antike mit den morgenländischen Elementen: 
die romanische Kunst wiederholt eigentlich nur dasselbe. 
Aber da erscheint der Spiizbcgen; er herrscht 
von jetzt an in der Baukunst von drei Jahrhunderten, 
und aus seinem schlanken Stamm erblüht eine wunder- 
bare Formenwelt. Gleichzeitig bahnt sich die Ornamentik 
ihren Weg in die Handschriften, in die Hora- und Mess- 
bücher; die Blumen und Blätter, die 'lhiere hoch und 
nieder, geometrische wie menschliche Figuren bilden sich 
unter dem Pinsel des Illuminaters fort bis in's Unend- 
liche. Die Blumen zumal sind für ihn ein glanzreiches, 
unerschöpfliches Thema: bald fassen sie die Blätter der 
Handschriften mit einer bescheidenen Randverziernng ein; 
bald ranken sie daran hinauf als ein Blumengewinde, 
das sich zum Festschmuck um die Säulen und Pfeiler 
einer Kirche schmiegt. Hier reihen sich die Zeilen des 
heiligen Buches unter einem Triumphbogen von Rosen 
aneinander, dort lässt ein Kirschenzweig seine scharlach- 
glühenden Beeren darüber fallen. Die bescheidensten 
Pflanzen finden in diesen frommer Andacht geweihten 
Büchern ihren Platz, wie in der lebendigen Schöpfung, 
dicht neben den schönsten und reichsten. Nach Perga- 
mentblättern, welche mit Lilien prächtiger geschmückt 
sind, als (Salomon in aller seiner Herrlichkeit), kommen 
andere, von den Zackenformen der Distel eingerahmt. Der 
bescheidene von den Psalmen besuugene Ysop sprosst am 
Schluss einer Strophe; die Granaten, welchen Salomo 
die Lippen seiner Sulamith vergleicht, schütten ihren 
Schatz aus über einem Evangelium; das Korn wächst 
empor, wo im Texte die Bitte an den Vater gerichtet 
wird, den Menschen ihr tägliches Brod zu geben. Myo- 
sotis und Maasslieben umdufton den -englischen Gruss und 
die Litaneien. Jede Bitte zu Gott bringt Ihm einen 
Korb mit Früchten dar, oder eine Blumengabe: länd- 
liche Opfer wie sie schon auf den urältesten Altären ge- 
Vogel und Falter iiiegen und 
flattern in diesen Zaubergärten. Der Pfau breitet sein 
schillerndes Rad aus unter der Mondsichel, auf welcher 
die heilige Jungfrau steht; die Biene saugt an der Blume 
einer Initiale, die Fliege lässt sich nieder auf einem 
Vers, dessen Zeilen durch ihre Flügel schimmern; die 
Heuschrecke erklettert eine Lilie, 'oder nagt an einer 
Kornähre; der Schmetterling gaukelt um die Rose; sogar 
die Wespe lässt ihr Gesumme hören, das klingt wie 
ferne Gesänge des l-Iochamtes Es ist als wären dem 
Pinsel des Illuminators jene Ambra-Tropfen entüossen, 
welche die beschwingten Geschöpfe, im Fluge sie treffend, 
festhalten und ihrem luftigen Dasein ewige Dauer geben. 
Das war das goldene Alteryder Ornamentik in den 
neueren Zeiten, das war ihre reinste Entfaltung. Die 
Renaissance veredelt und erweitert in ihrer Weise 
dieses fruchtbare Gebiet. Aber sie beschneidet auch den 
wuchernden Ueberiluss; mit kunstgelehrter Hand pfropft 
sie darauf die Typen der Antike, eriindet aber auch neue 
Typen von wunderbarer Schönheit. Die Gestalten der 
alten Götterwelt drängen sich herein in die Windungen 
des Laubwerks, in die Zierrathen der Pilanzenformen, 
Basreliefs umrahmen die Fläche der Cartouchen, Büsten 
überragen sie. Es ist der Styl des Alterthums, aber in 
verjüngtem von heiterer Anmuth umlachtem Leben. 
Im siebzehnten Jahrhundert erlahmt das Ornament 
unter dem Schnörkelschwall übermässigen Prunkes; die Um- 
risse werden anfgetrieben; die Linien gewaltsam; allerlei 
Unkraut von Zierrath üherlädt es von allen Seiten. Die 
grosse Staatsperrücke des Louis XIV. scheint in leibhaftiger 
Gestalt an den Giebeln der Bauwerke herniederzuwallen. 
Die Ornamentiker des 18. Jahrhunderts treiben 
die Verschwendung im Ornamentensclimuck noch weiter; 
die Muschel überwächst und überwuchert Alles und Jedes. 
1 Zugleich aber wissen sie doch eine gewisse leichte, heitere 
i poetischer Zauber innewohnt. 
Grazie, einen Hauch von ganz eigenthiunlicher, launischer 
und doch durchdachter Formenspielerei in ihre Schöpfungen 
zu legen, besonders ein Zusammenstimmen der Wohn- 
räume mit deren ganzer innern Ausstattung hervorzu- 
bringen, so dass ihrer dekorativen Kunst ein feenhafter 
Der Rococostyl wird jeder- 
zeit eine der originellsten und reizendsten Formen des 
französischen (Espritv bleiben. - ' 
Diese Geschichte des Ornaments, dessen Ent- 
wicklung hier nur im Fluge bezeichnet ist, erläutert Herr 
Itacinet in einer ebenso gründlich-gelehrten als ausführ- 
lichen Einleitung zu seinem Werk. Dessen 100 Tafeln 
mit ihren 2000 Motiven entrollen aber sofort die Ge- 
schichte des Ornaments im Bilde vor dem glanzbetrodenen 
Auge des Lesers, und auch die nothwendig schmucklose, 
sachgomässe Beschreibung (welche der Text zu jedem 
Blatt ohne Ausnahme gibt) ist nicht im Stande, den 
ersten Gesammteindruck abzuschwächen. Beim Anblick 
eines ganzen Waldes denkt man ja nicht an das einzelne 
Blatt, ja kaum an den einzelnenBanm! Und was fur 
ein Zauberwald ist hier, voll Wunder und Räthsel, ein 
überwältigender, scheinbarer, aber auch nur schein- 
barer, Wirrwarr von Ornamenten, welche den reinsten 
Typen, 'dcn vollkommensten Meisterwerken aller Zeiträume 
i entlehnt sind. Von einer griechischen Mosaik führt uns das 
Werk zu einer Porzellan-Vase ansJapan, von einer persischen 
Tapete zu einer italienischen Majolika, von einer gothischen 
Handschrift zu einem Fächer aus der Rococo-Zeit. 
Arabesken von Raphael stehen neben den Malereien 
einer egyptischen Todtenstadt; ein von Boucher's Guir- 
landen eingefasster Fensterpfeiler folgt auf eine Zimmer- 
decke aus der Renaissance; das Fenster einer Kathedrale 
fügt sich ein unter der Kuppel einer Moschee. Und diese 
unzähligen Motive, zusammengestellt mit einem sinnig 
wählenden Geschmack, geben uns nicht blos die Zeich- 
nung der Muster, sondern auch ihr Kolorit und ihre 
Tinten, ihre stärksten Töne und ihre feinsten Uebergänge, 
ja sogar das Gold und Silber, das mit hereinspieltl 
Niemals ist mit Hilfe der Lithochromie so 
Erstaunliches, die erste Anschauung so sehr 
Ueberraschendes, die genaueste Prüfung so ganz 
Befriedlgendes geleistet worden. 
 
Unterzeiehneter bestellt hiemit bei der Buchhandlung von 
Exempl. M. A. R A C IN E T, Das Polychrome Ornament. 
Deutsche Ausgabe von R. REINH A RD T und A. MECKLENEURG. 
Lieferung l. und folgende. 
Ort und Datum: Firma: 
 
1mm: von EMIL. MÜLLER m szungu-z.
	        
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