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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1873 / 99)

Erster kunstwissenschahlichar Gongress in Vlion, 
1. bis 4. September 1873. 
(Fortsetzung) 
Professur Kinkel: Ich befinde mich mit zweien- der Herren Vorredner 
in einem so scharfen Gegensatz in diesem Punkte, dass es mir ein wenig schwer 
wird, gegen die Argumente anzukämpfen, die dieselben vorgebracht haben. Ich 
darf vielleicht auf eine Erfahrung hinweisen, die ich selbst in meinem Leben 
gemacht habe. Ich habe auf allen Altersstufen Unterricht gegeben und zwar 
Vortragenden und zusammenhängenden, und wie ich einst auf der Universität 
gelehrt habe, so habe ich jetzt die Ehre, in der Schweiz an einem Polytecha 
nicum zu lehren. Hier ist mir jetzt meine sechzehnjährige Praxis in England 
am werthvollsten, die ich dort bei Mädchen vom achten Jahre an gesammelt 
habe. Ich kenne also die eine Seite des Unterrichtes vollkommen, wenn ich 
mich auf die Seite der weiblichen Ausbildung stelle. Das ist ein ausserordent- 
lich wichtiger Punkt, denn bekanntlich sind doch Mittelschulen nicht fiir junge 
Männer allein, sondern auch für junge Damen eingerichtet. Wir werden auch 
die Ueberzeugung haben, dass im Tempel der Schönheit das Weib die Func- 
tionen einer Priesterin der Schönheit zu vertreten hat. So weiss ich, dass ich 
gerade in dem Punkte der Mittelschulen für Mädchen hier auch einen eminent 
praktischen Gesichtspunkt festhalte. Ich meine nun gar nicht, dass irgendwie 
auf diese Mittelschulen die systematische Aesthetik gehört. Die Parallele der 
Kunstlehre mit der Lehre von den Dichtungsgattungen, auf die wir vorher in 
dem E ggerschen Buche haben den Beweis für die Nothwendigkeit einer syste- 
matischen Unterweisung basiren hören, ist unzutreffend, denn die Kennmiss der 
formalen Aesthetik der Dichtkunst ist nothwendig, weil hier ein Lehrstoff vor- 
handen ist, der traktirt werden muss und der nicht besonders traktirt zu wer- 
den braucht, um daran anknüpfend das Verständniss zu schaffen. Allein das 
ist nicht der Fall bei der Kunstgeschichte. Diese ist noch nicht Lehrgegenstand, 
und es können diejenigen Betrachtungen, welche rein ästhetisch sind, auf die 
Mittelschulen deswegen nicht gebracht werden, weil die Schüler den Stoß" noch 
nicht haben, die Möglichkeit der Ableitung der Regel aus dem vorhandenen 
Beispiel nicht da ist. 
Was den deutschen Unterricht angeht, so sollten in die Lehrbücher keines- 
wegs ausführliche Berichte über Kunstgeschichte aufgenommen werden, sondern 
Schilderungen einzelner hervorragender kunstgeschichtlicher Monumente, und 
zwar solche Schilderungen, die zugleich auch an sich von formalem Werthe sind. 
- Was nun den Geschichtsunterricht betrifft, so bin ich gar nicht im Stande 
zu verstehen, wie man Geschichtsunterricht geben kann, ohne Anschauungsunter- 
richt für die Kunstgeschichte. Bei Aegypten z. B. fange ich an zu erzählen. 
Das Land kann ich noch anschaulich machen durch Karten. ich gehe weiter 
und komme zu den Racentypen. Da ist alles Reden vergebens, ich muss Abbil- 
dungen geben, also jene ägyptischen Reliefs und Wandmalereien, in denen die 
Racenunterschiede mit wunderbarer Schärfe _und Feinheit festgehalten sind. Dann 
kommen wir zu den Pyramiden. Was gibt es weiter von den Königen zu erzäh- 
len, als dass sie die Pyramiden gebaut haben? Und so geht das durch die 
ganze ägyptische Geschichte weiter. (Redner führt dies in blendender und all- 
gemein fesselnder Darstellung mit grosser Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit 
aus. Dann fährt er fort :) 
Sie befürchten vielleicht Zerstreuung und Uebersättigung des Jünglings 
oder des jungen Mädchens. Seien Sie ganz ruhigl Nach dem Ohr, das Sie hört,
	        
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